Das L-Wort, es hatte am Dienstagabend im Hörsaal der medizinischen Universität von Cleveland Hochkonjunktur. Gleich zu Beginn der ersten TV-Debatte des diesjährigen US-Präsidentschaftswahlkampfs brach es – siehe Transkript der Debatte – aus Joe Biden heraus: "Jeder weiß, dass er ein Lügner ist", richtete er dem Millionenpublikum vor den Fernsehgeräten aus. Und auch der Angesprochene, Präsident Donald Trump, griff auf die Schmähung zurück – und schoss direkt retour: "Sie sind ein Lügner." Was folgte, war eine "Lügenlawine", wie es ein CNN-Kommentator im Anschluss nannte – losgetreten von Donald Trump.

Elegante Umgebung, wenige Feinheiten im Inhalt: Donald Trump (li.) gegen Joe Biden.
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Naturgemäß dreht sich die Diskussion zwischen dem Amtsinhaber und seinem Herausforderer vor allem um die Bilanz des Ersteren. Die umstrittene Nachbesetzung am Supreme Court, Covid-19, die Black-Lives-Matter-Bewegung, die Wirtschaftsentwicklung: allesamt polarisierende Themen, an denen sich Biden, Trump und Moderator Chris Wallace von Fox News eineinhalb Stunden lang abarbeiteten.

Lügen als Stilmittel

Fest steht, dass sich Trump nicht nur einmal einer blanken Lüge bediente, sondern dies über weite Strecken, vor allem gegen Ende hin, geradezu als Stilmittel einsetzte. Der STANDARD hat eine Auswahl davon näher betrachtet:

Wieder einmal betonte Trump die – von Wissenschaftern stets dementierte – Fälschungsanfälligkeit der Briefwahl: "Dies wird Betrug, wie man ihn noch nie gesehen hat." Tatsächlich hat es in den USA noch nie einen Fall großflächigen Wahlbetrugs gegeben. Später meinte er, Briefträger in West Virgina böten Stimmzettel zum Kauf an, die dann in Flüssen versenkt würden. Auch dies: eine Lüge.

Zum Thema Russland erklärte Trump, der ehemalige Präsident Barack Obama und dessen Vize Biden hätten ihn nach seinem Wahlsieg ausspioniert. Tatsächlich hatte das FBI Trumps Wahlkampfteam unter die Lupe genommen, weil der Verdacht der Wahlbeeinflussung durch Moskau im Raum stand – weder Obama noch Biden selbst hatten damit zu tun.

Auch in US-Bars lief statt Football oder Baseball das Duell der beiden älteren Herren um das Weiße Haus.
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"Sozialistische Medizin"

Ein weiteres Streitthema, die Gesundheitsversichung "Obamacare" nämlich, stand später im Fokus der Debatte. "Sozialistische Medizin" nannte der Republikaner Bidens Pläne zu einer "Public Option", wo staatliche Versicherungsträger mit privaten Anbietern konkurrieren sollen. Biden wolle 180 Millionen Menschen ihre Privatversicherung wegnehmen, behauptete Trump – was erwiesenermaßen nicht Bidens Plan ist.

Zum Thema Corona behauptete der Präsident, Biden wolle die USA unbedingt in einen zweiten Lockdown führen, er selbst wolle die Wirtschaft offenhalten. Im August hatte der demokratische Kandidat dagegen erklärt, dies nur dann zu machen, wenn Wissenschafter ihn von der Notwendigkeit überzeugen würden.

Auch beim Thema Polizeigewalt griff Trump auf Unwahrheiten zurück. Biden, behauptete er, habe Plünderungen und Unruhen im Zuge der Black-Lives-Matter-Proteste im Sommer gutgeheißen. In Wahrheit hat der ehemalige Vizepräsident diese mehrfach verurteilt. Als dieser Trump daran erinnerte, dass dessen ehemalige Beraterin Kellyanne Conway erklärt habe, dass die Gewalt dem selbsternannten Law-and-Order-Kandidaten durchaus in die Karten spielen könnte, bestritt Trump, dass diese Aussage je gefallen sei. Und doch hat Conway ebendies laut CNN-Recherchen Ende August tatsächlich gesagt.

Unterstellter Rassismus

Auch dass Biden Afroamerikaner 1994 als "Super-Predators" (Super-Raubtiere, Anm.) bezeichnet haben soll, wie Trump vor laufender Kamera behauptete, ist falsch. Hillary Clinton, Bidens Vorgängerin als demokratische Präsidentschaftskandidatin, hatte den Ausdruck 1996 benutzt, um ein umstrittenes – und von Biden unterstütztes – Gesetz zu verteidigen, das nach Ansicht von Kritikern der Polizei übergroße Rechte im Kampf gegen Straßenkriminalität einräumt.

Und auch bei seinem Haus-und-Hof-Thema Arbeitsplätze nahm es Trump nicht ganz so genau mit der Wahrheit. 700.000 Jobs in der Fertigungsindustrie habe seine Regierung zurück in die USA gebracht, sagte er. CNN hat nachgerechnet, dass – vor Corona, wohlgemerkt – etwas mehr als 480.000 derartige Arbeitsplätze geschaffen, fast 240.000 hingegen verloren wurden. (flon, 30.9.2020)