In der jüngeren Geschichte der amerikanischen Politik sucht dieses TV-Duell seinesgleichen. Das persönliche Aufeinandertreffen der beiden Spitzenkandidaten der US-Wahl geriet zu einem Wutduell. Ein aggressiver und testosterongeladener, außer Kontrolle geratener US-Präsident traf wie ein Bulldozer auf einen streckenweise massiv überforderten Herausforderer Joe Biden, der nicht so recht wusste, wie ihm geschah. Selbst der Medienkritiker des konservativen Nachrichtensenders Fox News fand nur wenige lobende Worte für den Auftritt des Amtsinhabers Donald Trump.

Das erste Fernsehduell zwischen Donald Trump und seinem Herausforderer Joe Biden geriet zu einem Wutduell.
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Niemand hatte ernsthaft damit gerechnet, dass Trump sich plötzlich in einen Staatsmann verwandeln würde. Im Gegenteil. Es war zu erwarten, dass Trumps Strategie für das TV-Duell darauf abzielte, Biden aus dem Konzept zu bringen, ihn unkonzentriert und fahrig wirken zu lassen. Schließlich ist das eines der Hauptargumente der Republikaner, was die Person Biden betrifft: Er sei mental für das Amt des Präsidenten nicht geeignet, der fast 78-Jährige sei schlichtweg zu alt. Und Biden ließ sich aus dem Konzept bringen. In dieser Hinsicht ist Trumps Mission gelungen.

Was er aber allen, die ihn nicht schon seit vier Jahren für den Anti-Establishment-Messias halten, noch eindrücklicher vor Augen geführt hat: Trump ist durch und durch autokratisch veranlagt. Er beanspruchte die alleinige Deutungshoheit für alle Themen für sich, versuchte Moderator wie Herausforderer mundtot zu machen, ließ keinerlei Regeln gelten, außer die seinen, ließ jeden Anstand vermissen und log, dass sich die Balken bogen.

Demokratie und Freiheit

Abermals ließ er nicht den geringsten Zweifel daran, dass er alles andere als einen eigenen Wahlsieg nicht anerkennen wird. Wie als Ausblick auf ein Armageddon nach dem Wahltag sprach er die rechtsextreme Gruppe Proud Boys direkt an und forderte sie auf: "Haltet euch zurück, und haltet euch bereit."

Biden, möge er auch tatsächlich keine herausragende Performance geboten haben, erschien gegenüber diesem bedrohlichen Demokratieverschrotter geradezu als einzige Hoffnung für all jene Menschen, denen demokratisch regierte Vereinigte Staaten am Herzen liegen.

Und die sind nicht nur in den USA zu finden: In Zeiten von aufstrebenden Autokratien wäre ein Amerika, das das Leuchtfeuer von Demokratie und Freiheit wieder höher hängt, auch von zentraler Symbolik für den Rest der sogenannten westlichen Welt. Einem Präsidenten Joe Biden traut man zumindest zu, die gespaltene Nation wieder in diese Richtung zu lenken. Einem Präsidenten Donald Trump liegt augenscheinlich nichts daran.

Aber zurück zum US-Wahlkampf: Auf den letzten Metern geht es für die Spitzenkandidaten vor allem darum, die Unentschlossenen auf ihre Seite zu bringen. Das dürften Umfragen zufolge etwa 15 Prozent der Wählerinnen und Wähler in den USA sein. Trump hat diese erste Gelegenheit jedenfalls nicht genutzt. Thematisch hatte er kaum etwas zu bieten. Kein Plan für eine Krankenversicherung, kein Konzept für den Wiederaufbau nach der Corona-Krise. Nur Chaos. Das Konzept der Präsidentschaftsdebatte führte er damit ad absurdum.

Gewinner hat es in diesem TV-Duell nicht gegeben, denn auch Joe Biden konnte in dieser chaotischen Farce nicht durchdringen. Die größten Verlierer waren einmal mehr die US-Amerikaner selbst. (Manuela Honsig-Erlenburg, 30.9.2020)