Róisín Murphy versucht sich für ihr nachdenkliches Partyalbum 2020 am toughen Chic der britischen Vorstadt-Bitch.

Foto: Rowan Trafford

Eine bekannte Fehlervermeidungsstrategie beruft sich auf die von uns allen täglich aufs Neue bestätigte Erkenntnis: Alles, was schiefgehen kann, wird auch schiefgehen. Man nennt diesen Fakt nach einem US-amerikanischen Raketentechnik-Ingenieur aus den 1940er-Jahren Murphy’s Law. Zum Trost sei gesagt, dass dabei, obwohl es übel enden kann beziehungsweise enden wird, nicht zwangsläufig der schlimmstmögliche Fall eintreten muss. Glück ist auch oft, was gerade noch kein Unglück ist.

Trotzdem hat die irisch-britische Sängerin Róisín Murphy natürlich unsere Gedanken und Gebete bei ihr, wenn sie einem abgelegten Lover auf der Tanzfläche voller bitter-geilem Fatalismus doppeldeutig verkündet: "It’s Murphy’s law, I’m gonna meet you tonight / Just one match could relight the flame / And just when everything is goin’ alright / All my hard work goes down the drain."

Róisín Murphy

Wir befinden uns irgendwo in der britischen Provinz in einer nicht ganz großen und nicht ganz kleinen Stadt. In der hat man am Wochenende eine nicht allzu große Auswahl, wenn es darum geht, welche der drei Discos die am ehesten erträgliche ist: Will heißen, die Hütte mit den am wenigsten bescheuerten Typen. Über den Weg laufen wird man sich trotz allem: "Ever since we broke up / I’ve been afraid to go out / But I won’t be a prisoner / Locked up in this house / I feel my story’s still untold / But I’ll make my own happy ending / But I’d rather be alone / Than making do and mending."

Murphy hat sich für ihr neues Album Róisín Machine nicht nur das seit den späten 1970er-Jahren gleichgebliebene Ausgeh- und Netz-T-Shirt-Gedächtnis-Outfit der toughen britischen Vorstadt-Bitch angelegt. Drei-Wetter-Taft-Frisur und Kautschikauen inklusive.

Tief in der britischen Nacht

Auch die Musik speziell auch von Murphy’s Law, einem mit über sechs Minuten zentralen Titel dieses Albums zwischen Gin-Tonic-Euphorie an der Bar und Tränen auf dem Dancefloor, sagt eines: Die Disco mag damals, als das Saturday Night Fever zu Ende ging und House noch nicht aus schwulen Underground-Clubs herausgekommen war, das erste Mal in der Krise gewesen sein. Aber sie hat überlebt.

Mit viel Handclapping-Effekt, elektrischem Klavier, käsigen Synthesizern, ein wenig funky das Goderl kraulender Gitarre und einem nicht zu schnellen nostalgischen House-Beat, der das Abhotten mit hohen Absätzen auch noch nach mehreren Drinks erlaubt, geht es auf Róisín Machine in die britische Nacht. Die dauert oft von Freitagmittag bis Sonntagfrüh.

Früher zeichnete Róisín Murphy mit ihrem Duo Moloko um das Jahr 2000 verantwortlich für zeitlose und noch immer gern gehörte Partyhits wie Sing It Back oder The Time Is Now. Der Sound wird unter der Regie des Produzenten und Club-Veteranen Richard Barratt (Crooked Man, The All Seeing I …) nun adäquat ins Heute weitergeführt. Murphys Stimme wird über ihre diversen Soloalben immer reifer und voller. Hervorgehoben seien etwa die durchaus auch die Kunstakademie streifenden letzten Arbeiten, Hairless Toys von 2015 und Take Her Up To Monto von 2016.

Róisín Murphy

Das dunkle Timbre harmoniert perfektiert mit zwingenden Tanzbodenfüllern wie dem schön retromäßig mit Discostreichern aufgeladenen Track Narcissus oder mit Incabable. Für den treibenden Groove der zwei letztgenannten Stücke würden Daft Punk ihre bescheuerten Helme verkaufen.

In Jealousy zitiert Murphy den besagten alten Hit Sing It Back. Nachdem sie in der mittlerweile vergangenen Disco-Lehrstunde befürchten musste, sich wieder in ihren Ex zu verschauen und sich daraufhin mit einem Narzissten herumärgerte, ergründet Murphy nun im Frühtau zu Berge die Eifersucht: "This is the darker side of a beautiful feeling." Es ist jetzt fünf Uhr Früh. Einen Gin Tonic noch, Freunde. Dann kann die Party endlich richtig losgehen. (Christian Schachinger, 1.10.2020)