Hunderte Wienerinnen und Wiener (und einige Menschen aus den Bundesländern) treffen einander am Samstag, um zu diskutieren.

Foto: Christian Fischer

Das Coronavirus mag uns vielleicht auf Distanz zueinander zwingen, aber gleichzeitig scheint das Bedürfnis nach Austausch, nach Diskurs, nach Streit, nach dem "demokratischen Gespräch" größer denn je – zumal vor einer Wahl. Das zeigt das große Interesse an der STANDARD-Aktion "Wien spricht".

Rund 2.500 Menschen haben sich angemeldet, weil sie mit möglichst anders Denkenden zusammentreffen und ihre Positionen zu verschiedensten lebensweltlichen Fragen austauschen wollten. Am Samstag ist es soweit: Wegen Corona sicherheitshalber nicht bei einer zentralen Veranstaltung, aber über die ganze Stadt verteilt, treffen sich Hunderte Paare. Nicht im Café, aber vielleicht bei einem Spaziergang im Park (das Wetter soll schön werden!) oder via Videotelefonie werden sie miteinander reden, vielleicht streiten – und sich am Ende womöglich doch näher gekommen sein. Oder auch nicht. Alles ist möglich.

Mehrheit an Innergürtelwienern

Ziel der Aktion, die bewusst vor den Wahlen in der Bundeshauptstadt angesetzt ist, ist, Menschen zur Auseinandersetzung mit Andersdenkenden zu motivieren. Auch um Wahlergebnisse einordnen zu können, müssen wir lernen, das Gegenüber zu verstehen. Unsere Grätzelgespräche über Verkehr, Bildung, die Klimakrise und Integration stießen auf große Resonanz.

Nach Beantwortung der Entscheidungsfragen auf unserer Website zu wichtigen politischen Themen konnten insgesamt 740 Paare mit kontroverser Einstellung generiert werden. Von 184 Paaren wissen wir, dass sie einem Gespräch zugestimmt haben und sich am 3. Oktober um 14 Uhr austauschen wollen. Bei 290 bereits gematchten Paaren fehlte noch die Zustimmung einer Seite. Für jene, die noch keinen Partner haben, wurde auf derStandard.at ein Forum eröffnet, in dem man selbstständig jemanden suchen kann.

Viele Innergürtelwiener, ein paar Vorarlberger

Unter den Paarungen, die der Algorithmus zusammengewürfelt hat, wird es zwangsläufig zu einigen rein männlichen Aufeinandertreffen kommen – denn wie so oft bei online initiierten Interaktionen gab es mit 68 Prozent einen Männerüberhang.

Die Altersverteilung deckt sich hingegen relativ gut mit der Wiener Gesamtbevölkerung. Während das Medianalter der erwachsenen Stadtbewohner bei 52 Jahren liegt, teilt der Altersmedian die "Wien spricht"-Teilnehmer ebenfalls knapp nach dem 50er: 52,3 Prozent der Teilnehmer waren 50 Jahre oder älter, 47,7 Prozent 49 Jahre oder jünger.

Vielleicht ist der Vergleich mit der Wiener Gesamtbevölkerung aber gar nicht so angemessen – denn anders als erwartet beschränkt sich das Teilnehmerfeld nicht auf die Bundeshauptstadt; fast ein Fünftel aller Diskussionswilligen hat einen Wohnsitz in einem anderen Bundesland, von ihnen wiederum fast die Hälfte im niederösterreichischen Umland. Doch selbst sechs Person mit Vorarlberger Postleitzahl haben sich angemeldet.

Die mitwirkenden Wienerinnen und Wiener verteilen sich auf alle 23 Gemeindebezirke, den größten Anteil an der jeweiligen Bezirksbevölkerung stellen die Innere Stadt (15 Teilnehmer je 10.000 Einwohner), Mariahilf und der Alsergrund (je 14). Am geringsten ist die Quote der Bezirke Floridsdorf (4), Favoriten (3) und Simmering (2).

Schlechtes Außenbild der Wiener Schulen

Bei der Registrierung waren die Teilnehmer aufgefordert, sieben politische Ja/Nein-Fragen zu beantworten. Am ausgeglichensten waren Zustimmung und Ablehnung bei der Frage "Bieten Wiens öffentliche Schulen eine gute Ausbildung?" – dieser Diskussionsvorschlag polarisierte also am meisten. 57 Prozent sind mit der Qualität der öffentlichen Wiener Schulen zufrieden, 43 Prozent sprechen sie ihnen ab.

Interessant bei dieser Fragestellung: Am wenigsten überzeugt vom Wiener Bildungswesen sind mit 51 Prozent die Nichtwiener.

Die Frage mit der zweitniedrigsten Differenz zwischen den Antwortmöglichkeiten lautete "Haben Frauen in Wien dieselben Chancen wie Männer?". Gut 36 Prozent bejahten sie, 64 Prozent verneinten. Diese Werte ergeben sich allerdings aus recht unterschiedlichen Geschlechteransichten. 79 Prozent der Frauen erkennen einen Chancennachteil, und während diesen auch die Männer mehrheitlich nicht abstreiten, fällt ihr Anteil mit 58 Prozent deutlich geringer aus.

Einschränkungen in der Corona-Krise

Genau zwei Drittel antworteten auf die Frage "Sollen in der Corona-Krise für jüngere und ältere Menschen dieselben Einschränkungen gelten?" mit Ja. Die größten Unterschiede gibt es hier nicht nach Geschlecht, sondern nach Alter. Nur 23 Prozent der über 65-Jährigen können sich je nach Alter abweichende Einschränkungen vorstellen, bei den unter 30-Jährigen sind für diese Idee immerhin 38 Prozent empfänglich.

Recht ähnliche Ja- und Nein-Verhältnisse ergeben sich bei den Fragen "Sind die Wohnkosten in Wien zu hoch?", "Soll Wien den Autoverkehr einschränken?" und "Sollen ausländische Staatsbürger mit Hauptwohnsitz in Wien den Gemeinderat wählen dürfen?". Jeweils sieben bis acht von zehn Befragten bejahen diese Fragen, nur der geringere Rest sagt Nein.

Die größte Bruchlinie offenbart darunter die Frage nach dem Ausländerwahlrecht: Bewohner der Bezirke 1 bis 9 befürworten sie zu 78 Prozent, jene der Bezirke 10 bis 23 zu 67 Prozent und die Teilnehmer aus den Bundesländern nur mehr zu 59 Prozent.

Zufrieden mit der Ärzteversorgung

Die größte Einigkeit herrschte unter allen Befragten bei der letzten Frage: "Bietet Wien eine gute ärztliche Versorgung?"

Fast 87 Prozent sind dieser Ansicht, und der hohe Wert zieht sich ziemlich konsequent durch alle Geschlechter-, Alters- und Bewohnergruppen. (Text: Michael Matzenberger, Rosa Winkler-Hermaden; Datenauswertung und Grafiken: Daniela Yeoh; 3.10.2020)