Zwischen Darkroom, Filmdrehs und privaten Wohnzimmerhöllen: Oliver Masucci (hier mir Katka Riemann) interpretiert Rainer Werner Fassbinder in Oskar Roehler "Enfant terrible" als manischen Berserker mit wundem Herzen.

Foto: Filmladen

Unbeherrschter Regiediktator, überproduktiver Egomane oder genialer Diagnostiker der Verhärtungen der BRD? Für Rainer Werner Fassbinder, den 1982 im Alter von nur 37 Jahren verstorbenen Filmemacher, gibt es viele Bezeichnungen, und vermutlich sind alle richtig. Es kommt nur auf die Perspektive an. Kein Film über diesen Ausnahmekünstler kann sie alle miteinbeziehen, insofern ist jeder Versuch, ihm gerecht zu werden, schon zum Scheitern verurteilt.

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Fassbinder ist in Oskar Roehlers Annäherung von der ersten Einstellung an schon ein "icon". Wie "The Wild One", in Marlon-Brando-Pose mit Lederjacke, steht er auf der Bühne des Münchner Action-Theaters, die Zigarette im Mundwinkel, und bellt seine Schauspieler an. Enfant terrible, das macht der Film sofort klar, ist kein Bio-Pic im konventionellen Sinne. Es erzählt eben nicht davon, wie Fassbinder von Station zu Station zunehmend manischer an seinem Werk und Selbstbild feilt.

Hingegen will Roehler selbst in Fassbinders Bilderwelt hinein, dem Mythos eine Innenansicht verleihen – als hätte dieser sein eigenes Spiegelbild verfilmt. Das ist natürlich eine Anmaßung, aber zugleich auch die viel reizvollere Aufgabe, als sich an einer biederen, auf Abbildrealismus beschränkenden Hommage zu versuchen.

Dem Idol ausgeliefert

Denn Roehler liefert sich zu einem gewissen Grad seinem Idol aus: Er möchte sich mit ihm duellieren und zugleich seinen Geist beschwören. Und einem Kino huldigen, das noch nach ganz anderen Maßgaben, künstlerisch wie ökonomisch, funktioniert hat als heute. "Ich wollte keinen Film über ihn machen, sondern einen, den er vielleicht gemacht hätte ", sagt Roehler im STANDARD-Interview über seine Herangehensweise. "Wir haben so gedreht, wie er gedreht hat. Wir haben so miteinander gerechtet, wie er gerechtet hat."

Bei einem so direkten Zugang liegt nahe, dass der Identifikationsfaktor hoch war: Fassbinders Filme, so Roehler, die diese "Atmosphäre der Gemeinheit" atmeten, haben ihn durch seine Jugend hindurch begleitet. "In einem Jahr mit 13 Monden hab ich mit 17 fünf Mal hintereinander gesehen. Der Film hat mich schockiert – ich musste ihn genau studieren." Dass Fassbinders Figuren "alle Außenseiter in einer feindseligen Umgebung" waren, hat ihn geprägt — "das ist den anderen deutschen Filmen nicht gelungen."

Cholerischer Wüstling

Eine übersteuerte Form von Gereiztheit, zudem Spuren dieser Einsamkeit kann man nun auch in Enfant terrible entdecken, sogar bei Fassbinder selbst. Oliver Masucci, der durch die Netflix-Serie Dark international bekannt wurde, verkörpert ihn als cholerischen Wüstling mit Wampe, der Schauspieler, seine "Familie", um sich schart, nur um sie im nächsten Moment zu brüskieren und zu verletzen. Bei jemandem, der so tobt und rast, fragt man sich allerdings, ob er überhaupt jemals einen einzigen Film hingekriegt hätte.

Neu ist das freilich nicht, über Fassbinder gibt es unzählige Anekdoten. Kurt Raab (im Fall von Hary Prinz mit viel Hingabe verkörpert) hat ein Buch der Hassliebe über ihn geschrieben, das wiederum das Drehbuch von Klaus Richter stark geprägt hat. Fassbinder hat sich auch selbst über sein Temperament, seinen Hang zum Autoritären geäußert: "Wenn der Druck, unter dem ich stehe, zu groß wird, dann werde ich zum Diktator."

Begegnung im Darkroom: Oliver Masucci als Fassbinder.

Roehler versucht keineswegs, auf Distanz zu gehen oder eine aus gegenwärtigen Diskursen gespeiste Kritik am männlichen Künstlersubjekt zu leisten. Dafür wäre er auch der falsche Kandidat, eckt der 61-Jährige, der sich immer wieder kritisch mit der moralischen Überlegenheit der 68er-Generation beschäftigt hat, doch selbst gerne an und steht mit der Filmszene über Kreuz. Roehler betrachtet Fassbinder auch in dieser Hinsicht lieber durch das Prisma seiner Filme. Von Warnung vor einer heiligen Nutte (1971), der als Fassbinders Schlüsselfilm über das Filmemachen gilt, werden einzelne Szenen im Detail nachgestellt, nun aber als autobiografische ausgewiesen.

"Das ist keine normale Lebenssituation, in der sich Fassbinder befunden hat", sagt Roehler. "Er hatte auch selbst das Gefühl, dass er ausgebeutet und ausgesaugt wird. Alle lauerten gierig in der Ecke. Die Abhängigkeit hat nicht er geschaffen." Und weiter: "Man hat damals in einer totalen Blase gelebt. Dass man die Außenwelt weggeblendet hat, das wollte ich zeigen."

Ferne Echos

Ganz so sehr ignoriert hat man die politische Gegenwart bei aller Studiokünstlichkeit damals allerdings nicht. Die Teufelskreise, aus denen sich Fassbinders Figuren nicht befreien können, spiegelten stets die Verkrustungen der Bundesrepublik wider. In Enfant terrible flackern die Nachrichten aus dem Deutschen Herbst dagegen nur wie ferne Signale herein.

Das ist der Preis, den die Roehler’schen Innenschau zahlen muss: Sie sieht immer mehr wie ein gespenstisches Fassbinderland aus, ein Kulissengefängnis für Künstlerseelen. Intensiv wird der Film dann aber doch – dort, wo er sich den Schmerz ausmalt, wenn eine Liebesbeziehung Fassbinders nach der anderen scheitert und hinter dem Machismo echtes Leid zum Vorschein kommt. "Natürlich geht es auch um Schuld," sagt Roehler über seinen Fokus auf die queeren Beziehungen. "Er wusste, dass er diese Männer zuschanden geritten hat, weil er nicht anders konnte. Und die haben ihn am Ende auch selber zugrunde gerichtet." Ein Ende wie in einem Melodram – von Fassbinder. (Dominik Kamalzadeh, 1.10.2020)