Googles neuestes Smartphone: das Pixel 5.

Foto: Google

Mit dem Pixel 5 hat Google am Mittwoch seine neue Smartphone-Generation vorgestellt, und schon auf den ersten Blick wird klar: Das Unternehmen hat sich zu einer anderen Strategie als in den Vorjahren entschlossen. Statt sich mit der Konkurrenz im High-End-Bereich zu matchen, wirkt das Ganze wie eine Rückbesinnung auf längst vergangene Nexus-Zeiten – eine zwar durchaus starke Hardware, bei der man aber auch gar nicht versucht, sich am Spezifikationswettlauf anderer Hersteller zu beteiligen. Kombiniert wird dies mit smarten Software-Features, einer hervorragenden Kamera und vor allem: einem deutlich niedrigeren Preis, als aktuell für Premium-Smartphones verlangt wird.

Die Lage scheint also klar: Angesichts schwacher Verkäufe des Pixel 4 und kolportierter interner Querelen hat Google seine Smartphone-Strategie umgekrempelt und versucht es nun mit einem Rückgriff auf alte Rezepte. Doch bei näherer Betrachtung stellt sich die Lage etwas komplizierter dar: Das Pixel 5 ist nämlich nicht das Ziel der strategischen Neuausrichtung, es ist lediglich ein Nebeneffekt auf dem Weg dorthin.

Spurensuche

Darauf weist gleich eine Reihe von Faktoren hin. Zunächst: Erst vor wenigen Monaten hat Google-Chef Sundar Pichai in einem Interview betont, dass es eine der zentralen Aufgaben der eigenen Hardwareabteilung sei, den Bereich Computing weiter voranzutreiben – und dass dazu auch unweigerlich die Entwicklung von High-End-Smartphones gehört. Ohne konkrete Details zu nennen, unterstrich er zudem, dass einige dieser Initiativen mehrere Jahre in der Entwicklung brauchen.

Dazu passen wiederum Berichte, laut denen Google derzeit an eigenen Prozessoren arbeitet. Diese sollen für künftige Smartphones und Chromebooks gleichermaßen gedacht sein, hieß es etwa erst im Frühjahr. Mit einem solchen Schritt könnte sich das Unternehmen von der Qualcomm-Abhängigkeit befreien und durch eigene Optimierung aus der Masse der Smartphone-Hersteller abheben. Dass man damit die Chip-Entwicklung an den eigenen Zeitplänen ausrichten kann, wäre ein weiterer entscheidender Vorteil. Und nicht zuletzt hätte man den Support der Chips damit in eigener Hand, was für die langfristige Update-Versorgung ein entscheidender Vorteil wäre. Ein solcher Schritt wäre für eine ernsthafte Hardwarestrategie also durchaus logisch.

Viele Google-Spezifika entfernt

Doch noch einmal zurück zum Pixel 5: Im Vergleich zu den direkten Vorgängern fällt dabei auf, dass dieses erheblich weniger Google-spezifische Hardware verbaut hat. Sowohl der Miniradar des Project Soli als auch der komplizierte Aufbau für die Gesichtserkennung wurde gestrichen, selbst der bislang für KI-Aufgaben genutzte "Pixel Neural Core" fehlt. Google argumentiert, dass dessen Kernaufgaben mit dem Pixel 5 entfallen sind und man für den Rest eine ähnliche Performance direkt mit dem Snapdragon 765G erreichen kann. Gleichzeitig betonte Google-Hardwarechef Rick Osterloh am Rande des Launch-Events allerdings, dass das nicht das endgültige Ende für all diese Entwicklungen sei. So soll auch Soli in Zukunft wieder zurückkehren. Ein weiterer Hinweis darauf, dass man sich einfach mehr Zeit nehmen will, um diese Entwicklungen in Ruhe zu verbessern.

Das Pixel 5 beinhaltet im Vergleich zu seinen Vorgängern wenig Google-eigene Hardware.
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Geringe Ambitionen für 2020

Parallel dazu ist noch ein anderer aktueller Bericht von Interesse: Die Branchenpublikation Nikkei berichtete, dass Google äußerst bescheidene Verkaufserwartungen für das Pixel 5 hegt. Entsprechend sollen bis Ende des Jahres lediglich 800.000 Stück davon produziert werden – deutlich weniger als bei den Vorgängern und mit großen Konkurrenten ohnehin nicht zu vergleichen. Wäre das Pixel 5 der Beginn einer neuen Hardwarestrategie, würde man an diese aber zweifellos erheblich höhere Erwartungen hegen – und sie auch stärker bewerben. In dieser Hinsicht ist auch vielsagend, dass es heuer keinerlei Vorabzugriff und exklusive Hands-On für ausgewählte Medienvertreter gab, wie es in früheren Jahren der Fall gewesen war. Google ist auch in dieser Hinsicht beim Pixel 5 ungewohnt zurückhaltend.

Ein Übergangsgerät

All das zeichnet das Bild eines Smartphones, das als eine Art Übergangslösung gedacht ist und durch einen relativ geringen Entwicklungsaufwand den Fokus auf kommende Hardwaregenerationen ermöglicht. Dass es heuer kein XL-Modell des Pixel 5 gibt, passt ebenfalls perfekt in dieses Bild. Bleibt natürlich die Frage, warum dann Google das aktuelle Jahr nicht einfach gleich auslässt und sich lieber vollständig auf das 2021er-Modell konzentriert. Das dürfte mehrere Gründe haben: Einerseits spielen neue Pixel-Geräte auch immer eine wichtige Rolle für die Entwicklung von neuen Android-Versionen, andererseits gilt es auch, die Interessen der Mobilfunkanbieter zu betrachten.

Dass diese gerade in den USA – und damit dem stärksten Markt der Pixel-Reihe – ein ordentliches Wort mitzureden haben, zeigt auch das Pixel 5, waren es doch die Netzbetreiber – und das bestätigt Google ganz offiziell –, die den Android-Hersteller dazu gedrängt haben, die US-Version des Geräts mit mmWave-Support auszustatten. Dieser Teil des 5G-Spektrums ist aber besonders schwer abzudecken, was dazu führt, dass das Pixel 5 in den USA teurer ist als in Europa – und noch dazu später erhältlich sein wird. In Kombination mit dem Umstand, dass auch in den USA die mmWave-Unterstützung derzeit noch im besten Fall als rudimentär zu bezeichnen ist, ergibt diese Entscheidung also nur wenig Sinn, wenn man viele Geräte verkaufen will. Außer natürlich, man betrachtet dies aus dem Blickwinkel der Provider, die gerne relativ günstige 5G-Geräte haben wollen, um damit für die Vorzüge ihrer 5G-Netze zu trommeln. Und dafür ist dann weniger wichtig, ob man von diesen selbst dann auch viele verkauft oder eben nicht.

Eine verlockende Anomalie

Das bedeutet natürlich nicht, dass man sich vom Pixel 5 fernhalten soll. Für dessen Bewertung ist es relativ unerheblich, wie die langfristige Strategie von Google aussieht. Gleichzeitig sollte aber niemand erwarten, dass es die kommenden Jahre so weitergehen wird. Derzeit weisen jedenfalls alle Zeichen darauf hin, dass das Pixel 6 wieder für den Premiumbereich gedacht sein wird. Bei all dem darf allerdings nicht vergessen werden: Pläne können sich immer ändern. Sollte sich das Pixel 5 als ein Überraschungserfolg herausstellen, könnte es also durchaus sein, dass Google die eigene Hardwarestrategie noch einmal neu überdenkt. Und sei es nur, um das eigene Portfolio zu erweitern und zwischen High-End- und den Mittelklassegeräten der A-Reihe noch eine weitere Schiene einzuführen – die dann im Ansatz wieder dem Pixel 5 ähneln könnte. Das Jahr 2021 dürfte für Google-Hardware jedenfalls ein sehr spannendes werden. (Andreas Proschofsky, 2.10.2020)