Die konkreten Auswirkungen der Unterschiede zwischen per Kaiserschnitt und vaginal geborene Kinder, sind noch nicht vollständig geklärt. "Eine solche Intervention lässt sich letztendlich nur rechtfertigen, wenn die Kinder auch langfristig messbar davon profitieren würden", so Vehreschild.

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Großen Einfluss auf die Gesundheit des Menschen hat die Zusammensetzung der Mikroorganismen im Darm. Der Geburtsvorgang trägt dazu bei, den Darm eines Neugeborenen zu besiedeln, wenn das Kind mit Mikroben der Mutter in Kontakt kommt. Binnen weniger Monate nach der Geburt etabliert sich die Darmflora dann im Darm des Babys und beeinflusst so unter anderem die Aufnahme von Nährstoffen und die Entwicklung des Immunsystems.

Bei einem Kaiserschnitt wird die direkte Übertragung der Mikroben beim Geburtsprozess unterbunden. Die Darmflora von Kaiserschnittbabys unterscheidet sich deshalb deutlich von der Darmflora vaginal entbundener Kinder. Eine verstärkte Anfälligkeit für Allergien, Asthma und chronischen Immunkrankheiten bei Kindern nach Kaiserschnittentbindung wird mit dem veränderten Darmmikrobiom in Verbindung gebracht, weshalb Wissenschafter seit einigen Jahren Methoden suchen, diese Defizite durch einen sogenannten Mikrobentransfer auszugleichen.

Mix aus Mikroben

Eine Stuhltransplantation von der Mutter könnte Neugeborenen bei Kaiserschnittentbindungen helfen, eine gesündere Darmflora aufzubauen – das haben niederländische und finnische Wissenschafter in einer Beobachtungsstudie herausgefunden.

Kurz nach der Entbindung erhielten sieben Neugeborene einen Mix aus Darmmikroben und Muttermilch. "Die Neugeborenen erhielten fäkales Mikrobiotatransferprodukt, verdünnt in Muttermilch. Das Präparat wurde aus Stuhl der jeweiligen werdenden Mütter gewonnen. Vor der Stuhlspende erfolgte ein ausführliches Screening auf potenziell übertragbare Pathogene", erklärt Maria Vehreschild, Leiterin des Schwerpunkts Infektiologie am Universitätsklinikum Frankfurt. "Normalerweise unterscheidet sich die Darmmikrobiota von vaginal und per Kaiserschnitt geborenen Kindern in ihrer Zusammensetzung. Diese Unterschiede wurden durch die Behandlung aufgehoben," sagt sie.

Die behandelten Kinder entwickelten in den folgenden Monate eine Darmflora, die im Vergleich mit bestehenden Daten stärker der einer normalen, vaginalen Geburt entsprach. Die Ergebnisse der Studie wurden im Fachjournal "Cell" veröffentlich.

Neuer Ansatz

Um diese Defizite auszugleichen, wurden bisher vor allem Ansätze gewählt, bei denen das Neugeborene mit Vaginalsekret der Mutter in Kontakt gebracht wurde. "In einer ähnlichen Studie wurden die Neugeborenen mit Vaginalsekret der Mütter eingerieben", erklärt Vehreschild. Diese Methode ist aber nicht ganz so effektiv wie der neue Ansatz. Diese Form der Übertragung von Darmmikroben stellt einen komplett neuen Ansatz dar.

Noch reichen die Daten nicht aus, um den praktischen Nutzen der Methode abschätzen zu können. "Auch wenn diese Ergebnisse einen wichtigen Schritt für die Mikrobiomforschung darstellen, können sie nicht ohne weiteres in die klinische Praxis transferiert werden", sagt Vehreschild. Zum einen ist die Zahl der behandelten Kinder zu klein, um belastbare Ergebnisse bezüglich der Generalisierbarkeit des Effektes und insbesondere der Sicherheit zu liefern, da dazu im Anschluss weitaus größere Studien erfolgen müssten.

Zum anderen bleibt zu klären, ob die so modifizierte Ausgangsmikrobiota der Neugeborenen wirklich das Entstehen von Erkrankungen im weiteren Leben dieser Kinder verhindern kann. Denn man weiß heute zwar, dass per Kaiserschnitt geborene Kinder ein anderes Ausgangsmikrobiom haben als vaginal geborene Kinder, aber die konkreten Auswirkungen dieser Unterschiede auf die Entwicklung von chronischen Krankheiten wie Allergien, Autoimmunerkrankungen, Stoffwechselstörungen und psychischen Erkrankungen sind noch nicht vollständig geklärt. "Eine solche Intervention lässt sich letztendlich nur rechtfertigen, wenn die Kinder auch langfristig messbar davon profitieren würden", so Vehreschild.

Zu kleine Studie

Als sehr interessantes Forschungsgebiet sieht es Cornelia Gottschick vom Institut für Medizinische Epidemiologie, Biometrie und Informatik an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. "Der Forschungsansatz, Neugeborenen direkt nach der Geburt eine Stuhltransplantation der Mutter zuzuführen, mag gewagt erscheinen", sagt sie. "Vor dem genannten wissenschaftlichen Hintergrund hat es aber eine Berechtigung und könnte sich vorteilhafter auswirken als das bereits praktizierte Einreiben des Neugeborenen mit Vaginalsekret."

Auch sie gibt allerdings zu bedenken, dass sich die vorliegende Studie derzeit weder für die Einschätzung der Sicherheit noch der Wirksamkeit von Stuhltransplantationen bei Neugeborenen eignet. Gottschick: "Die Studienpopulation ist mit sieben Teilnehmerinnen zu gering, um verallgemeinernde Aussagen treffen zu können. Zudem fehlen eine passende Kontrollgruppe und das nötige kontrollierte Design einer klinischen Studie." (red, 6.10.2020)