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So tun, als sei man der Krankheitserreger: Nach diesem Prinzip können Erkrankungen ausgerottet werden.

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Arm freimachen, mit einem Tupfer eine kleine Hautstelle desinfizieren und dann ein kurzer Pikser: Von einem Moment auf den anderen sind all diejenigen, die sich gegen eine potenziell gefährliche Krankheit impfen lassen, geschützt. "Wir schleusen einen Erreger ein, der im Vorfeld seiner gefährlichen Eigenschaften beraubt wurde, also eine Infektion deshalb nur vortäuscht", erklärt Otfried Kistner, unabhängiger Impfstoffexperte, das grundlegende Prinzip eines Vakzins, das sich vielfach bewährt hat.

Dort, wo Impfungen eingeführt werden, sinkt die Mortalität der Erkrankungen, gegen die geimpft wurde, das zeigen die statistischen Auswertungen eindrücklich. Seit etwa gegen Kinderkrankheiten geimpft wird, ist die Kindersterblichkeit in unseren Breiten massiv gesunken.

"Wir sind von tausenden Viren und Bakterien umgeben, die wenigsten von ihnen sind lebensbedrohend. Doch gegen die, die eine ernsthafte Gefahr darstellen, werden Impfstoffe entwickelt," so Kistner. Der Nutzen einer Impfung müsse ganz prinzipiell dem Schaden, der durch eine Infektionserkrankung entstehen kann, überwiegen.

Die Grundidee

Sars-CoV-2 ist eine solche Bedrohung und der Grund, warum rund um den Globus derzeit mehr als 180 Teams an der Entwicklung eines Impfstoffs gegen das neue Coronavirus arbeiten. Zirka zehn von ihnen befinden sich in der Endphase der klinischen Prüfung. Sie alle enthalten Substanzen, die – um es salopp zu formulieren – so tun, als seien sie das Virus. Sie stimulieren damit das Immunsystem, ohne die schweren Symptome der Erkrankung hervorzurufen. Das ist die Grundidee. Insofern ist die Entwicklung von Impfungen auch eine Art molekularbiologisches Baukastensystem. Jeder Erreger hat ein oder mehrere spezifische Antigene, auf die das Immunsystem reagiert.

Corona sieht anders als Influenza aus. "Unser Immunsystem ist dafür gemacht, mit einer Vielzahl von Erregern gleichzeitig zurechtzukommen," erklärt Kistner, denn in uns und um uns seien tausende Bakterien und Keime, mit denen der Mensch in einem Ökosystem lebt.

Abwehr stimulieren

Das Immunsystem ist dabei ein ziemlich komplexes System, dass man sich wie eine Armee mit unterschiedlichen Kampftruppen vorstellen kann. Da gibt es die Makrophagen, die einen Fremdling erkennen und die T-Lymphozyten auf den Plan rufen. Diese nehmen den Kontakt mit den B-Zellen auf, damit Antikörper produziert werden. Diese wiederum markieren die fremden Zellen, um sie sozusagen zum Abschuss freizugeben. Dazwischen vermitteln Botenstoffe, sogenannte Zytokine, um dieses hochkomplexe Manöver auch erfolgreich zu Ende zu bringen. Und schließlich gibt es auch jene Zellen im Immunsystem, die ein Gedächtnis haben, sich also ein Antigen merken können, um bei erneutem Kontakt schneller reagieren zu können. Das Endziel ist jedenfalls die Neutralisierung des Angreifers.

Genau das sollen nun auch die Corona-Impfungen bewirken. Als am 10. Jänner das Genom von Sars-CoV-2 publiziert wurde, machten sich die Wissenschaftler daran, die RNA des Virus, also seine genetische Information – eine Abfolge von 30.000 Basen –, zu analysieren. "Schnell war klar, dass das Spike-Protein eine Schlüsselrolle spielt", sagt Molekularbiologie Florian Krammer von der Icahn School of Medicine at Mount Sinai in New York. Die Spikes docken an den ACE-2-Rezeptoren an, die an sehr vielen Zellen überall im Körper verteilt sind. Eine Impfung, die das Andocken verhindert, hat ein wichtiges Ziel erreicht.

Zwei Arten

Deshalb geht es für Impfhersteller darum, dieses Antigen herzustellen. Einst gab es zwei Arten: Bei Lebendimpfstoffen werden Erreger so abgeschwächt (im Fachjargon: attenuiert), dass sie die Krankheit nicht mehr auslösen können. Im Gegensatz dazu stehen die Totimpfstoffe, bei denen die Erreger komplett inaktiviert sind.

Um dieses Ziel zu erreichen, gibt es hunderte unterschiedliche Wege. Das Virus selbst kann manipuliert werden, und je nachdem, wie das gemacht wird, teilen sich die Impfungen dann in zahllose Untergruppen auf. "Sie unterscheiden sich unter anderem auch in der Art, wie sie produziert werden", sagt Kistner.

Der Influenza-Impfstoff zum Beispiel muss jedes Jahr neu produziert werden, weil sich das Grippevirus von Jahr zu Jahr stark wandelt. Antigen-Drift ist der Fachbegriff dafür. Der Influenza-Impfstoff muss zudem noch in Millionen von Hühnereiern gezüchtet werden – das ist der Grund, warum er immer ziemlich knapp vor der einsetzenden Grippesaison fertig wird. Es ist ein Prozess, der sich nicht abkürzen lässt.

Im Gegensatz dazu stehen neue Entwicklungen und Herstellverfahren. Bei Sars-CoV-2-Vakzinen greifen die Forscher in die molekularbiologische Trickkiste und spielen sozusagen mit den Mechanismen der Evolution. Entweder sie zerstückeln das Virus in seine Bestandteile oder sie manipulieren es anderwertig. Bei einem der am weitesten fortgeschrittenen Impfstoffe, einer gemeinsamen Entwicklung der Universität Oxford und dem Pharma-Riesen Astra Zeneca, wird das Spike-Protein des Coronavirus auf ein harmloses Erkältungsvirus gepflanzt und so nach dem Huckepack-Prinzip in den Körper geschleust. Vektorbasiert nennen Experten dieses Verfahren.

Impfen mit Genen

Gerade was die Geschwindigkeit der Impfstoffentwicklung betrifft, könnte die Corona-Pandemie zu einem Paradigmenwechsel führen. Erstmals in der Geschichte der Impfstoffentwicklung könnte das sogenannte mRNA-Impfstoffverfahren zum Einsatz kommen. Geimpft wird mit der genetischen Information von Viren. "Wir schicken Teile der Virus-RNA in den Körper", erklärt der Wiener Infektiologe Herwig Kollaritsch das neue Herstellungsprinzip, das zum Beispiel beim Vakzin von Biontech/Pfizer zum Einsatz kommt.

"RNA an sich ist nicht stabil, aber wir haben einen Weg für die verlässliche Anwendung gefunden", sagt Ugur Sahin, Chef von Biontech, jenem Forschungsunternehmen, das es mit dem eigenen Know-how und den Produktionskapazitäten von Pfizer schaffen will, 2021 insgesamt 1,3 Milliarden Impfdosen zu produzieren. Die Nanolipide, also Fettpartikel, die die Virus-RNA für die Impfung stabil machen, kommen vom österreichischen Unternehmen Polymun in Klosterneuburg.

Auch der Kooperationsgedanke bei den Impfstoffherstellern ist neu. "Zum ersten Mal arbeiten zwei bisher getrennte Welten Hand in Hand," sagt Impfexperte Kistner und meint die kleineren Forschungsfirmen, die sich mit Big Pharma im Kampf gegen das Coronavirus zusammengetan haben. Sollte nach Abschluss der klinischen Studien der Impfstoff zugelassen werden, wäre Kistner der Erste, der sich impfen lassen würde, sofern nicht spezifische Risikogruppen von den Behörden priorisiert werden. (Karin Pollack, 4.10.2020)