Die bürokratischen Hürden im Gesundheitsbereich sollen abgebaut werden.

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Bernhard Wurzer, Generaldirektor der Österreichischen Gesundheitskasse, schreibt in seinem Gastbeitrag darüber, welche Lehren man im Gesundheitsbereich aus den letzten Monaten ziehen kann.

Die Suche nach dem Passierschein A38 trieb Asterix beinahe in den Wahnsinn. Überbordende Bürokratie und ihr Potenzial, Betroffene zu zermürben, waren Stoff für die konfliktfreudige gallische Zeichentrickfigur im Band Asterix erobert Rom. Wer in Österreich ein Amt oder eine Behörde besucht, fühlt sich oft an diese Episode erinnert. Dass das nicht so sein muss, hat ausgerechnet die Corona-Pandemie gezeigt.

Viele Raster und Regeln

Innerhalb weniger Stunden wurden Schritte ermöglicht, die für Kenner des österreichischen Apparats fast denkunmöglich waren. Ein Anruf beim Hausarzt oder der Hausärztin und das Rezept wird an die Apotheke elektronisch übermittelt, Medikamente, Heilbehelfe und Hilfsmittel konnten plötzlich ohne chefärztliche Bewilligung besorgt werden. Wir sind in Österreich Weltmeister im Erfinden von Bürokratie. Diese wieder zu beseitigen ist ungleich schwerer, als neue Regeln aufzubauen. Während des Lockdowns haben wir gesehen, wie schnell wir bürokratische Hürden überwinden können – und das auch müssen. Jahrelang waren die Sozialversicherungen mit Widerstand gegen Telemedizin konfrontiert, intern wie extern. Diese Abwehrhaltung ist nun Geschichte. Ein Arztbesuch oder eine Therapieeinheit ist auch online möglich, und das soll auch so bleiben.

Und wie geht es weiter? Diese Maßnahmen haben ein Umdenken bewirkt. Die vielen Raster, Regeln und Rückfragen zielten darauf ab, Missbrauch und Betrug zu vermeiden. Sie wurden geschaffen, um Hürden für die wenigen aufzustellen, die das System nur für sich nützen wollen. Die Schattenseite: Das Leben der Mehrheit wurde dadurch erschwert. Statt eines Vertrauensvorschusses gab Misstrauen die Gangart vor. Dieses Misstrauen hat wiederum ein unübersichtliches Regelwerk bewirkt, das laufend durch neue Regeln und Zusätze ergänzt wurde. Leidtragende sind einerseits jene, die sie ausführen müssen und andererseits jene, die davon betroffen sind.

Braucht keine Diplomarbeit

Ein Beispiel dafür ist die Bewilligungspflicht bei Medikamenten. Der Gedanke dahinter war, die Verschreibung teurer Arzneimittel besser zu steuern. Doch gerade bei chronisch Kranken fehlt das Verständnis, wenn sie alle sechs Wochen eine neuerliche chefärztliche Bewilligung für ihre Arzneien benötigen. Muss ein krebskrankes Kind zu einer onkologischen Behandlung, bekommt es einen Fahrtkostenzuschuss. Muss es aber zu den vorgeschriebenen Nachkontrollen, gibt es dafür nicht immer Unterstützung. Für die Sozialversicherung geht es um wenig, für die betroffenen, vom Schicksal gebeutelten Familien bedeutet das sehr viel. Ein unkomplizierter, kinderfreundlicher Zugang ist hier angebracht, keine juristische Diplomarbeit. Wir arbeiten daran.

Ähnlich kompliziert ist das Vorgehen bei einer Krebsdiagnose. Ein Tumorboard, in dem Experten und Expertinnen verschiedener onkologischer Fachrichtungen vertreten sind, entscheidet über den geeigneten Behandlungsplan. Sie legen Therapie, Bestrahlung und Medikamente fest. Derzeit braucht es dafür dennoch eine Bewilligung durch den chefärztlichen Dienst. Doch welcher Chefarzt traut sich, die Empfehlung eines Tumorboards abzulehnen? Auch das ist eine Bürokratieebene, die wenig sinnvoll ist.

Generell müssen wir unsere Ärztinnen und Ärzte und alle Vertragspartnerinnen dazu bringen, hochqualitative Leistungen zu verordnen und ihnen gleichzeitig vermitteln, wie die Sozialversicherung tickt. Damit auch sie wissen, wo unsere Probleme liegen, um ein gemeinsames Kostenbewusstsein zu entwickeln. Eines sollte jetzt klar sein: Mehr Information und Unterstützung für Ärztinnen und Ärzte sind bessere Steuerungsinstrumente als ein Stempel auf einer Verordnung.

Jetzt ist die Chance da, all die eingespielten und ritualisierten Regeln und Raster zu überdenken. Diese Möglichkeit dürfen wir nicht verstreichen lassen. (Bernhard Wurzer, 2.10.2020)