Tetrissteine auf Paarungssuche: "Rand" im Wiener Schauspielhaus

Foto: Matthias Heschl

"Ich bin ein Tetris-Stein." Im Ranking erster Sätze von Theaterabenden würde die Uraufführung von Rand im Wiener Schauspielhaus einen vorderen Platz belegen. Es treten auf: fünf in neongrelle Ganzkörperanzüge gepresste Figuren, die jeweils einen Bauklotz aus dem Computerspiel-Klassiker verkörpern. Ihre Aufgabe: Sich ineinanderzuschieben, bis sie eine Fläche bilden. "Das macht uns Spaß", erklären sie. Den Zuschauern ergeht es nicht viel anders.

Später an diesem Abend werden noch einige sonderbare Gestalten mehr auftreten. Darunter ein Priester auf Kakerlakenjagd, eine hungrige Micky Maus und ein Einhorn im Regenbogen-Reifrock. Ihnen gemeinsam ist, dass sie sich irgendwo am Rand verorten und gern in die Mitte möchten. So etwas wie eine nacherzählbare Handlung gibt es im neuesten Stück der Wiener Autorin Miroslava Svolikova nicht.

Die einzelnen Szenen werden von einer theoretischen Setzung zusammengehalten, und zwar jener, dass es die Ränder sind, die die Mitte konstituieren. Für eine Seminararbeit eine valide These, für ein Theaterstück aber eine etwas sperrige Angelegenheit.

Retro meets Zukunft

Dabei lässt das Team rund um den Hausherrn und Regisseur Tomas Schweigen auf der Bühne des Schauspielhauses wenig unversucht, Svolikovas durchaus vergnüglichen Szenenreigen mit Leben zu füllen. Da blasen sich wie von Geisterhand riesige Ballone auf, da schlüpfen die Schauspieler in wunderbar poppige Kostüme (Bühne: Stephan Weber, Kostüme: Giovanna Bolliger).

Retro-Nostalgie vermählt sich mit Space-Age-Futurismus und wenn die drei Soziologen auf die Bühne kraxeln, dann vermeint man sogar, in einem Thriller zu sitzen. Eine von ihren Kollegen gemobbte Soziologin bringt mithilfe eines Tetris-Stein-Beines ihre Wissenschaftskollegen um. Das ergibt (als Projektion auf den Ballonen) ein schönes Blutbad, so etwas wie einen Höhepunkt aber nicht. Dafür passieren die Morde viel zu früh an diesem herkömmliche Dramaturgien suspendierenden Abend.

Genau so wie sich das Randständige in der Mitte des Stücks wiederfindet, nehmen Randbemerkungen sein Zentrum ein. Astronauten vergessen, warum sie sich eigentlich im All befinden, ein Chor von Kakerlaken beklagt sein Leid.

Nur einmal schafft es eine Figur, sich inmitten all der Randerscheinungen zu behaupten. Der von Sebastian Schindegger gespielte Terrorist mit Ladehemmung beklagt sein Verliererdasein. Der herkömmliche Theatermonolog nimmt sich inmitten des Szenenreigens aber wie ein Fremdkörper aus. Vom Rand in die Mitte: So richtig wohl, fühlt man sich auch dort nicht. (Stephan Hilpold, 1.10.2020)