Eigentlich sollte man davon ausgehen, dass eine drohende Werksschließung samt Jobverlust für gut 2.300 Mitarbeiter eine durchaus spannende Ausgangslage für einen politischen Diskurs bietet. Nicht so im Fall von MAN. Auf Landesebene übte man sich, trotz anstehender Landtagswahl im kommenden Jahr, in auffallender Zurückhaltung. Und auf Bundesebene schien der Kampfgeist für heimische Arbeitsplätze bereits im Winterschlaf zu sein. MAN-Betriebsratsobmann Erich Schwarz prangerte in den letzten Wochen mehrmals den fehlenden Rückhalt der Politik ab – um sich aber letztlich eine Frage zu stellen: "Haben wir überhaupt eine Regierung, die sich für Arbeitsplätze einsetzt?"

Erst mit der Aufkündigung der Standortverträge bei MAN in Steyr scheint man sich langsam auch auf politischer Seite vom Pannenstreifen wegzubewegen. Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (VP) will nun die Schließung des Werks mit österreichischen Investoren verhindern.

Österreichische Lösung

MAN weiß noch nicht so genau, wie es in Steyr weitergeht.
Foto: FOTOKERSCHI.AT/WERNER KERSCHBAUM

Sie habe in den vergangenen Tagen viele Telefonate und Gespräche mit dem MAN- und VW-Management – sowohl mit MAN-Vorstandschef Andreas Tostmann als auch mit dem zuständigen VW-Vorstand Gunnar Kilian – geführt, so Schramböck. Für den Standort in Steyr eine österreichische Lösung zu finden wäre die beste Möglichkeit, findet die Ministerin. Es gebe bereits Interessenten, die überlegen, den Standort zu übernehmen, und die schon mit ihr sowie mit VW bzw. MAN in Gesprächen seien. "Die brauchen jetzt ein bisschen Zeit, um das durchzukalkulieren."

Um wen es sich dabei handeln könnte, verrät im Ministerium auf STANDARD-Anfrage niemand. Diese Gespräche seien noch zu geheim, um bereits etwas zu verlautbaren, meint eine Sprecherin. In die Verhandlungen der Politik sei man leider nicht eingebunden, kritisiert ein mit der Materie vertrauter Funktionär der Privatangestelltengewerkschaft GPA.

Überkapazitäten

Dem Vernehmen nach wurde auch die Geschäftsführung der MAN Truck & Bus Österreich GesmbH nicht über die Details der Rettungsversuche informiert. Angesichts der Überkapazitäten bei dem zu Volkswagen gehörenden Lkw-Hersteller stelle sich allerdings die Frage, welche Investoren Geld in das MAN-Werk investieren würden, das völlig von Volkswagen und MAN abhängig sei.

Wer auch immer übernimmt, bekommt jedenfalls Europas größte Kunststoffteile-Lackiererei für Lkw-Anbauteile. Der deutsche Autobauer investierte nämlich zuletzt ausgerechnet am Standort Steyr gewaltig. Über 50 Millionen Euro flossen in den Ausbau des Werkes.

Um Standort kämpfen

Um den Standort in Steyr müsse man mit aller Kraft kämpfen, meint Ökonom Herwig Schneider vom Industriewissenschaftlichen Institut: "Dort arbeiten viele gutausgebildete Arbeitskräfte, die nicht nur in der Region, sondern über die Wertschöpfungskette in ganz Österreich für Wohlstand sorgen."

Der Idee von Ministerin Schramböck, die zweijährige Übergangszeit zu nützen, um "alternative Produktionen" nach Steyr zu bringen oder ein neues Standbein zu finden, kann er durchaus etwas abgewinnen. "In den drei vergangenen Krisen hat uns immer die Produktionswirtschaft gestützt. In Steyr ist Know-how da, das gehört genützt." Und wenn es nicht mit VW weitergehe, dann sei es so. Alternativen würden sich finden. Man müsse um jeden Preis den Standort erhalten, aber nicht um jeden Preis mit VW, so Schneider.

2.300 Menschen zittern um ihren Arbeitsplatz bei MAN. Steyr gilt als technologisch wertvoller Standort, um den ein Tauziehen zwischen Politik und Mutterkonzern VW begonnen hat.
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Politischer Kraftakt

Nicht nur bei MAN legte sich die Politik ins Zeug, um Standorte am Leben zu halten. Erst kürzlich wurde mithilfe von Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) der Fortbestand der Agrana-Fabrik in Leopoldsdorf zugesichert.

Dass Novartis in Tirol bleibt, geht mitunter auf eine ordentliche Förderung des Bundes zurück. Der Schweizer Pharmakonzern wollte die einzige europäische Penicillin-Produktion nach Asien zu verlegen. Hier bestand aber auch akuter Handlungsbedarf. Sprechen sich Politiker für mehr Unabhängigkeit von Asien in der Medikamentenproduktion aus, kann man solch ein Unternehmen de facto nicht ziehen lassen.

Pokern

"Das ist industriepolitisches Pokern, das gehört gewissermaßen dazu. Das passiert auch bei MAN", sagt Industrieökonom und Direktor der Querdenkerplattform Karl Aiginger. Er spricht sich dafür aus, "viel Geld in die Hand zu nehmen, um Standorte und Arbeitsplätze zu sicher. Aber wenn, dann richtig". Er pocht auf Ökologisierung. "Wir müssen in allen Branchen in ökologischere Produktion investieren, alles andere ist sinnlos. Zum Beispiel in Wasserstoff- oder Elektroantrieb bei LKW in Steyr. Es gibt dafür viel Know-how in den Universitäten und dem Zulieferer AVL List", sagt Aiginger. Steyr könne das Zentrum einer neuen LKW-Generation werden. Diese Chance habe VW in Polen nicht.

In Tirol und Niederösterreich haben viele Arbeitnehmer bereits aufgeatmet. In Oberösterreich bleibt es noch spannend. (Andreas Danzer, Markus Rohrhofer, 1.10.2020)