Jarosław Kaczyński war jahrelang nur einfacher Abgeordneter.

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Nach tagelangem Warten haben sich die Gerüchte am Mittwochabend bestätigt: Jarosław Kaczyński tritt in Polen aus dem politischen Schatten. Der Chef der nationalkonservativen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) wird nach einem Regierungsumbau stellvertretender Premierminister. Zum ersten Mal seit 2007 übernimmt der 71-Jährige damit eine Position in der Regierung, nachdem er das rechte Lager jahrelang als einfacher Abgeordneter geleitet hat.

Die Regierungskrise, die zu seiner Entscheidung führte, brach überraschend aus. Die nächsten Parlamentswahlen finden erst in drei Jahren statt, die Zeiten sollten nach zwei Jahren Dauerwahlkampf – seit 2019 gab es außer der Parlamentswahl auch EU- und Präsidentschaftswahlen – eigentlich ruhig sein. Doch im Sommer hat sich der Machtkampf zwischen zwei Männern, namentlich PiS-Chef Kaczyński und dem einflussreichen Justizminister Zbigniew Ziobro, weiter verschärft. Der Streit eskalierte bei der Abstimmung über ein Tierschutzgesetz, das Kaczyński auf den Weg gebracht hatte und das Ziobro nicht unterstützen wollte.

Gemeinsame Liste

Obwohl die PiS meist im Zentrum der Aufmerksamkeit steht, regiert sie nicht alleine, sondern mit zwei kleineren Parteien – Ziobros Solidarna Polska (Solidarisches Polen) und Jarosław Gowins Porozumienie (Verständigung), die gemeinsam mit der PiS auf einer Liste antreten. Schon oft kam es zu Konflikten zwischen den Koalitionspartnern, doch Kaczyński schaffte es bisher stets, alle auf Linie zu halten. Dabei halfen ihm eine wachsende Wirtschaft und eine zufriedene Wählerschaft, die zum Teil auch von sozialpolitischen Maßnahmen profitierte.

Dass der Streit diesmal eskalierte, lag auch daran, dass führende Politiker der Koalition allmählich an eine Zeit nach Kaczyński denken und sich in Stellung bringen.

Ziobro will führen

Kaczyńskis Favorit für die Nachfolge ist Ministerpräsident Mateusz Morawiecki. Aber auch Zbigniew Ziobro arbeitet seit Jahren auf die führende Position im rechten Lager hin. Er bat Kaczyński kürzlich darum, gemeinsam mit den Abgeordneten seiner Partei der PiS beitreten zu dürfen, was ihm die Nachfolge erleichtern würde. Kaczyński wies ihn zurück.

Ziobro setzte die PiS daraufhin unter Druck, indem er den Kulturkampf antrieb. So versprach er etwa der Gemeinde Tuchów im Süden des Landes finanzielle Mittel, nachdem diese sich zur "LGBT-freien Zone" erklärt hatte. Morawiecki gilt im Vergleich zu Ziobro als Pragmatiker, der auch der EU gegenüber ein freundlicheres Gesicht zeigt.

Puffer-Funktion

Kaczyńskis Aufgabe wird es deshalb sein, einen Puffer zwischen Morawiecki und Ziobro zu bilden. Deshalb nimmt er nun die Position als Morawieckis Stellvertreter an, obwohl er Regierungsverantwortung jahrelang abgelehnt hat und lieber als Parteichef die Strippen zog.

Allerdings besteht die Gefahr, dass er Morawiecki schwächt, sollten Parteikollegen künftig lieber den Stellvertreter als den Premier zurate ziehen. Morawiecki hat nur wenig Rückhalt in der Partei.

Keine "normalen Menschen"

Immerhin wird die Regierung aber auch verschlankt, was den Premier wiederum stärkt. Statt 20 wird es künftig nur 14 Ministerien geben. Die Umstrukturierung deutet allerdings auch auf weitere Ideologisierung hin. Vor allem Przemysław Czarnek, der neue Minister für Wissenschaft und Bildung, sorgt für Kritik aus der Opposition. Der 42-Jährige sagte etwa, die LGBT-Gemeinde unterscheide sich von "normalen Menschen" und warnte vor einer moralischen und sexuellen Revolution, die von einer "LGBT-Ideologie" angetrieben werde. (Olivia Kortas aus Warschau, 1.10.2020)