US-Präsident Donald Trump ist also positiv auf das Coronavirus getestet worden. Musste man damit rechnen? Auf jeden Fall, allzu sorglos verhielten sich er und seine Entourage in den vergangenen Wochen und Monaten. Masken und andere gängige Vorsichtsmaßnahmen sah man dort höchstens vereinzelt, und auf Wahlkampftour war der Kontakt zur Fanbase vielleicht kein unmittelbarer mit Händeschütteln und Babystreicheln, aber umsichtiges Handeln – auch in Trumps Team – sieht anders aus.

Es wäre nicht Donald Trump, hätte nicht er selbst die Nachricht in Umlauf gebracht, natürlich über Twitter. Dort und in anderen sozialen und klassischen Medien wurde Trumps Covid-19-Erkrankung innerhalb von Minuten millionenfach geteilt – und oft auch mit gehässigen und sarkastischen Kommentaren versehen.

Doch Schadenfreude ist nicht angebracht. Donald Trump mag durch sein Tun beziehungsweise Nichttun zu einem gewissen Teil selbst für seine Erkrankung verantwortlich sein. Doch für ihn persönlich – er gehört als 74-Jähriger bekanntlich zur Risikogruppe – und für sein Amt als US-Präsident ist diese neue Situation durchaus bedrohlich. Sollte er selbst die Amtsgeschäfte nicht mehr weiterführen können, käme diese Rolle Vizepräsident Mike Pence zu. Doch auch dieser selbst ist – beziehungsweise war bis zur Isolation Trumps – ansteckungsgefährdet.

Sollte auch Pence erkranken und amtsunfähig werden, kommen laut "Presidential Succession Act" nacheinander die Sprecherin des Repräsentantenhauses (die Demokratin Nancy Pelosi), der Präsident pro tempore des Senats (der Republikaner Chuck Grassley) und danach die Mitglieder des Kabinetts zum Zug. Infolge des bisherigen Verhaltens der Regierungsmannschaft des Präsidenten ist hier keineswegs sicher, wer hier noch "safe" ist und wer nicht.

Folgen für den Wahlkampf

Natürlich hat Trumps positive Corona-Diagnose massive Auswirkungen auf den weiteren Wahlkampf, der noch genau einen Monat dauert, am 3. November soll schließlich gewählt werden. Es wäre kurzsichtig zu glauben, dass die Absage aller weiteren Wahlkampfaktivitäten Trumps automatisch seinem Herausforderer Joe Biden helfen würde. Dieser liegt zwar in landesweiten Umfragen teils deutlich (und in wahlentscheidenden "battle states" zumindest knapp) in Führung; doch einem allfälligen Wahlsieg Bidens würde wohl stets der Makel anhaften, es "nicht aus eigener Kraft" geschafft zu haben. Seine eigenen Verdienste drohen in einem Wahlkampffinale in dieser Konstellation unterzugehen.

Mit Donald Trumps Corona-Diagnose erfährt der Wahlkampf eine neue Wendung.
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Trump selbst könnte aus einer gut überstandenen Erkrankung sogar Kapital ziehen, indem er die Corona-Pandemie mehr als bisher bagatellisiert. So ähnlich hat es ja schon der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro vorgemacht.

Hypothese Wahlverschiebung

In jedem Fall hat Trumps Corona-Diagnose massive Auswirkungen auf das Wahlkampfgeschehen und die dahinterstehende Taktik. Vielleicht sogar so große, dass es ratsam sein könnte, über eine Wahlverschiebung nachzudenken. Diese hatte Trump selbst im vergangenen Sommer ins Spiel gebracht – freilich aus anderen Gründen: Damals ging es um seine Befürchtung, dass ein hoher Anteil an Briefwählerstimmen nicht zu seinen Gunsten sein würde. Diese Idee musste er damals dann fallenlassen.

Heute ist die Ausgangslage aber eine andere: Es geht letztlich um die Funktionstüchtigkeit des amerikanischen Staates, um dessen Regierung. Die Entscheidung zu einer Wahlverschiebung liegt aber nicht im Kompetenzbereich eines US-Präsidenten, sondern beim US-Kongress. Mit Sicherheit wird dort schon intensiv über diese Hypothese nachgedacht. (Gianluca Wallisch, 2.10.2020)