In Trenčianske Stankovce sieht man, was in Österreich und Deutschland undenkbar wäre: Menschen in Uniformen der deutschen Wehrmacht, T-Shirts, Abzeichen und Buttons mit dem Logo der SS.

Foto: Kurt Prinz

Es gibt Orte, an denen ist das Dritte Reich noch nicht besiegt. Trenčianske Stankovce, ein verschlafenes Nest zwei Autostunden nördlich von Bratislava, ist so ein Ort. Auf einem aufgelassenen Acker, im Nirgendwo zwischen Laubwäldern und Feldern, kommt es gleich zu einem weiteren Gefecht zwischen slowakischen Aufständischen und den Truppen der SS.

Der Befehlshaber der Deutschen, ein Mann mit kantigem Gesicht und Schnauzbart, steht hinter einer Böschung und beobachtet die Gegner durch einen Feldstecher. "Vorwärts, Männer!", brüllt er – und läutet damit die zweite Angriffswelle der Deutschen ein. Ein Panzer, der von zwei Mercedes-Benz-Mannschaftswagen flankiert wird, rollt auf die feindlichen Stellungen zu.

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Am Horizont tauchen eine Junker 87 und eine Messerschmid Me 410 auf. Das Rotieren der Propeller wird immer lauter, die Kampfflieger setzen zum Sinkflug an und eröffnen das Feuer. Gleichzeitig preschen rund 60 Soldaten in giftgrünen Uniformen und schwarzen Helmen nach vorn. Manche laufen geduckt, andere knien oder robben auf dem Boden und geben den Kameraden Feuerschutz.

Historical Reenactment oder auch Living History nennt sich dieses Phänomen, das seit den frühen 2000ern existiert und seither immer mehr Anhänger findet. "Allein in Europa gibt es bereits über eine halbe Million Menschen, die Historical Reenactment ernsthaft betreiben", schätzt der deutsche Historiker Karl Banghard, der zu dem Phänomen eingehend geforscht hat. "Man kann ja mittlerweile alle möglichen Uniformen, Verkleidungen und Waffen übers Internet bestellen, das hat die Entwicklung sicherlich befördert."

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Besonders viele Anhänger

Entsprechend viele Epochen deckt die Szene ab. Die einen verkleiden sich als Wikinger, andere als Ritter, Indianer oder Cowboys, wieder andere schlüpfen in die Rüstungen römischer Legionäre oder hüllen sich in Fellmäntel wie einst germanische Stämme. In Frankreich ist das Nachstellen der napoleonischen Schlachten beliebt, in den USA die Gefechte aus der Zeit des amerikanischen Bürgerkriegs, in der Türkei die Heldengeschichten des osmanischen Heeres.

In Ungarn, Russland und Estland findet hingegen die Zeit zwischen 1939 und 1945 besonders viele Anhänger. Auch in Österreichs Nachbarländern Tschechien und der Slowakei boomt dieses dunkle Geschichtskapitel. Warum bloß?

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Das Festival in den Dorf Trenčianske Stankovce ist eines der größten Reenactment-Events über den Zweiten Weltkrieg. Über 2000 Besucher sind an diesem drückend heißen Junitag gekommen und zahlen umgerechnet zehn Euro Eintritt, um dabei zu sein. Die nahegelegenen Parkplätze sind schon ab zehn Uhr morgens besetzt.

Viele stellen ihre Autos auf dem Pannenstreifen ab und müssen lange Fußmärsche bis zum Eingang in Kauf nehmen. Junge Pärchen sind hierhergekommen, Männer mit Bierdosen in der Hand, Familien mit Kindern aller Altersstufen, Glatzköpfe mit Runentattoos an Hals und Oberarmen wie auch ältere Herren mit Lesebrille, Strohhut und Khaki-Hosen.

Nazisymbole und Devotionalien

Die Schlacht zwischen dem slowakischen Widerstand und den Deutschen dauert mittlerweile über eine Stunde, und die Sache wird immer unübersichtlicher. Bomben detonieren im Fünf-Sekunden-Takt in ohrenbetäubender Lautstärke, Nebelgranaten zischen, Autos explodieren, Maschinengewehre rattern, Menschen gehen mit schmerzverzerrten Gesichtern zu Boden – bis es kurz vor Mittag plötzlich ruhig wird.

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Der Widerstand hat sich ergeben, die Wehrmacht hat die Stellungen der Feinde überrannt, die Nazis haben gewonnen, dutzende Tote liegen auf dem Boden. "Das war doch richtig gut, oder? Danke an alle Beteiligten, die dieses tolle Spektakel ermöglicht haben", sagt der Moderator über zwei krachende Lautsprecherboxen.

Die Toten stehen auf und gesellen sich zu den Feinden, man umarmt sich, die Darsteller verbeugen sich, winken ihren Fans zu, die dichtgedrängt hinter einer provisorischen Absperrung applaudieren und pfeifen.

14 Uhr ist es, die Hitze wird immer drückender. Laut Programm stehen später noch einige Panzergefechte und eine Flugshow an. Doch jetzt ist erst einmal Pause angesagt, die Zuseher strömen zu den Getränkeständen, daneben verkaufen Händler ihre Waren, SS-Buttons, Feldwesten der Wehrmacht, Originalhelme und Messer der Roten Armee, Granatenhüllen oder auch Bücher, die Heimatlieder unseres Führers oder Heldensagen der Wehrmacht heißen. Illegal ist das nicht. Zumindest nicht in der Slowakei, und auch nicht in Tschechien.

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Nazisymbole und Devotionalien aus der NS-Zeit dürfen auch dort nicht auf offener Straße getragen werden. Zu speziellen Anlässen wie den Reenactment-Festivals sind die Symbole und Uniformen aber gestattet. "Das alles hier ist gar nicht politisch", versichert einer der Standbesitzer und zuckt mit den Schultern. "Es geht hier doch nur um ein Spiel für historisch Interessierte, wir liefern den Leuten eben auch die richtigen Utensilien dafür, um in die Zeit richtig einzutauchen."

Geschichtsunterricht?

Und so sieht man in Trenčianske Stankovce, was in Österreich und Deutschland undenkbar wäre: Hunderte Männer in Uniformen der deutschen Wehrmacht, T-Shirts, Abzeichen und Buttons mit dem Logo der SS, Armbinden und Flaggen mit Hakenkreuzen, so weit das Auge reicht.

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Reenactment-Veranstalter sehen in den Spielen eine Form des "lebendigen Geschichtsunterrichts". Viele Events seien nicht umsonst von Ministerien gesponsert, sagt ein Organisator und ärgert sich, dass die Medien, die darüber berichten, so etwas einfach nicht verstehen wollen. "Die Festivals sind harmlos und völlig unpolitisch. Bei uns lernen die Leute nicht aus den Büchern oder Filmen, sie können hautnah miterleben, was damals passierte."

Das stimmt im Grunde. Die eben zu Ende gegangene Schlacht zwischen slowakischen Partisanen und deutscher Wehrmacht basiert auf wahren Geschehnissen. Der slowakische Nationalaufstand gegen das Hitler-Regime war einer der größten europaweit. Die Widerstandsbewegung formierte sich 1944 in der Stadt Banská Bystrica, brachte fast die Hälfte des Landes unter ihre Kontrolle, ehe sie im Oktober desselben Jahres niederkartätscht wurde.

Die Reenacter haben auf alle Details geachtet, die Automarken, die Panzermodelle und Kampfflieger, die passenden Feldblusen, Stiefel und Helme der Wehrmacht, die Hosen, Hemden und Schiebermützen der Aufständischen.

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Selfies mit SS-Leutnants

Bei den Besuchern kommt die Kriegsshow gut an. "Man versteht, wie das damals im Krieg wirklich war, das ist besser inszeniert als jeder Hollywoodfilm", schwärmt ein junger Mann, der mit seinen Freunden aus Bratislava gekommen ist.

"Bücher interessieren meine Kinder nicht, aber das hier verstehen sie, und sie bekommen eine Vorstellung davon, wie es damals war", sagt eine Mutter, die mit ihren beiden Söhnen aus Bratislava gekommen ist. "Das ist doch besser, als dass sie immer Computer spielen. Hier erleben sie wirklich etwas."

Knapp 400 aktive Reenacter sind zu dem Festival gekommen. In einem angrenzenden Waldstück haben sie ihre Zeltlager aufgeschlagen und für die Besucher einzelne Stationen errichtet.

Wer will, kann russische Kalaschnikows in die Hand nehmen und nachladen, ins Innere von Panzern oder in Schützengräben klettern, an Schießübungen mit Plastikpatronen teilnehmen, Selfies mit SS-Leutnants, französischen Fallschirmspringern, ukrainischen Kosaken oder amerikanischen G.I.s machen. Die Stimmung ist ausgelassen, ein echtes Sommerfestival eben.

Richtig romantisch

Ein Mann mit dickem Schnauzbart trägt das Imitat einer Uniform der Roten Armee aus dem Jahr 1943.
Foto: Kurt Prinz

Ein Mann mit dickem Schnauzbart, der das Imitat einer Uniform der Roten Armee aus dem Jahr 1943 trägt, ist bereits am Dienstag angereist. "In den Tagen vor den Festivals werden alle Geräte herangekarrt, man bereitet alles vor, abends grillt man gemeinsam und singt Lieder – natürlich originalgetreue Lieder aus der Zeit", erzählt der hauptberufliche Versicherungsangestellte. "Festivals wie diese sind für mich die schönste Zeit überhaupt, es ist richtig romantisch."

Gleich daneben steht ein Mann, der eine Unform der deutschen Infanterie trägt. "Feldstiefel und Hakenkreuzbinde, Gamaschen – auf jedes Detail habe ich geachtet, alles muss genau stimmen, sonst kann ja jeder daherkommen", sagt er. Der Mann kommt aus der Stadt Košice und ist wie sein alter Freund Pavel bereits am Dienstag angereist.

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Bedenken wegen der Nazi-Uniform hat der Mann keine: "Ich bin Slowake, glauben Sie mir, Verbrechen gab es auf beiden Seiten, bei den Kommunisten wie auch bei den Deutschen." Trotzdem möchte er seinen Namen in keiner Zeitung lesen.

Trojanisches Pferd

Wie überhaupt viele Reenacter lieber nicht mit Medien sprechen möchten. "Wir haben immer wieder schlechte Erfahrungen gemacht. Manchmal kommen Journalisten zu unseren Events, zweimal sogar das Fernsehen. Am Ende heißt es nur, dass wir alle verkappte Nazis sind." Der Historiker Karl Banghard hat sich vor allem mit Reenactment in der Epoche der Germanen beschäftigt.

Diese Szene ziehe tatsächlich viele Rechtsextreme an, sagt Banghard. 2016 hat er die Ergebnisse seiner Forschungen unter dem Titel Nazis im Wolfspelz – Germanen und der rechte Rand als Broschüre publiziert. "Bei den Germanen gibt es eine völkische Faszination, Rechtsextreme suchen die Wurzeln ihrer Identität gerne bei ihren Vorfahren."

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Auch die Szene, die sich auf den Zweiten Weltkrieg spezialisiert hat, sei zumindest teilweise von rechten Gruppierungen unterwandert, sagt Banghard. "Das läuft vieles unterschwellig. Reenactment ist oft ein trojanisches Pferd, mit dem man auf legale Weise in die Mitte der Gesellschaft kommt." Natürlich müsse man stark differenzieren. Auffällig sei aber, dass bei den meisten dieser Events keine echte Aufklärungsarbeit über die Verbrechen passiere. So entstehe dann ein gefälschtes Geschichtsbild.

Das ist auch in Trenčianske Stankovce so. Informationen über Kriegsgräuel, Massenhinrichtungen oder auch Konzentrationslager sucht man hier vergeblich. Sie passen offenbar nicht ins Konzept der Festivals. Ob die Reenactment-Szene in der Slowakei und Tschechien aber wirklich von Rechtsextremen unterwandert ist, lässt sich schwer festmachen.

Die Hürden für politische Agitation sind jedenfalls groß. Alle Festivals müssen offiziell angemeldet werden, Polizei und Militär sorgen für einen reibungslosen und unpolitischen Ablauf. Wer in Tschechien oder der Slowakei in die Reenactment-Szene eintauchen möchte, muss dafür einem der sogenannten Kluby Vojenskej Historie (KVH) beitreten.

Wer in Tschechien oder der Slowakei in die Reenactment-Szene eintauchen möchte, muss dafür einem der sogenannten Kluby Vojenskej Historie (KVH) beitreten.
Foto: Kurt Prinz

Über hundert solcher Klubs

Diese Klubs haben im Schnitt zehn bis zwanzig Mitglieder, tagen einmal monatlich und rücken in den Sommermonaten fast jedes Wochenende zu Events aus. In Tschechien und der Slowakei gibt es mittlerweile über hundert dieser Klubs. Politischer Aktivismus ist streng verboten, wer sich nicht daran hält und dabei auffliegt, bekommt eine satte Geldstrafe und muss den Klub verlassen.

Einer dieser historischen Klubs nennt sich "Kämpferinnen der Wehrmacht", hat in Brünn seine Zentrale und ist auch bei dem Festival in Trenčianske Stankovce vertreten. Der Klub wurde vor über drei Jahren gegründet, hat ausschließlich weibliche Mitglieder und hat sich auf das Nachstellen des Deutschen Roten Kreuzes spezialisiert.

Lena, Anfang 20, studiert Veterinärmedizin in Brünn und ist seit über einem Jahr Mitglied bei den "Kämpferinnen der Wehrmacht". Sie organisiert Klubtreffen, kümmert sich um die Anschaffung von Uniformen und den Social-Media-Auftritt. Zusammen mit ihren Kolleginnen steht Lena fast alle zwei Wochen in den Lazaretten. Alles ist liebevoll hergerichtet.

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Auf Holztischen liegen zahllose chirurgische Instrumente, Bücher des Deutschen Roten Kreuzes, Krankenbetten, Verbandszeug und überdimensionale Spritzen. Passanten erklärt Lena ausgiebig, wie deutsche Krankenschwestern damals gearbeitet haben.

"Wir sind einfach eine große Familie, die ein gemeinsames historisches Interesse verbindet", sagt Lena, die sich ihre Bluse und Schürze von einer Schneiderei hat anfertigen lassen. Das chirurgische Besteck habe ihr Klub auf Flohmärkten gekauft oder über Onlinebörsen bestellt.

"Nichts macht mir mehr Spaß"

Warum sie ausgerechnet die deutsche Seite und nicht die russische oder tschechische nachstellt? "Ich selbst habe Sudetendeutsche in meiner Familie, deshalb interessiere ich mich einfach mehr für die Seite der Deutschen", sagt Lena. Wenn man die angehende Tierärztin fragt, wie sie über das Dritte Reich denkt, zögert sie kurz.

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Dann sagt sie: "Meine Familie weiß genau, dass es auf allen Seiten Ungerechtigkeiten gab, so ist der Krieg eben. Kommunisten waren mindestens genau so große Verbrecher wie die Gegenseite." Mit rechtsextremem Gedankengut wollen sie und die anderen Mitglieder des "historischen Klubs der Kämpferinnen" aber nichts zu tun haben.

Kurz vor 16 Uhr, immer noch sengende Hitze, immer noch beste Festivalstimmung auf dem Gelände von Trenčianske Stankovce. Gleich beginnt eine Panzershow. Modelle der Briten, Amerikaner und Deutschen, allesamt aus den Jahren 1942 und 1943, drehen gleich ein paar Runden auf dem Schlachtfeld.

Nach und nach pilgern die Zuseher zurück zum Geschehen. Vor einem der Getränkestände steht ein junges Pärchen. Beide tragen ärmellose Shirts, auf denen das Logo der SS zu sehen ist. Die junge Frau heißt Lenka und maturiert im kommenden Jahr, neben ihr steht ihr Freund Vidor. Der 24-Jährige arbeitet im Hauptberuf als Informatiker in Brünn. Seine wahre Leidenschaft aber gehört dem Reenactment.

Die beiden haben sich bei einem Event vor drei Jahren kennengelernt, Vidor trug erstmals in seiner Reenactment-Karriere eine SS-Uniform und war Teil einer Infanteriedivision. Lenka sagt, sie habe Vidor gesehen und sich sofort verliebt. Seither sind die beiden ein Paar und wohnen seit einem Jahr auch zusammen.

Als Vidor 16 war, hat er zum ersten Mal an einem kleinen Reenactment-Festival als Zuseher teilgenommen und war auf Anhieb begeistert. Er heuerte bei einem historischen Klub an und wurde irgendwann aufgenommen. Seither hat Vidor dreimal den Verein gewechselt.

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"Historischer Klub Belgien" nennt sich sein aktueller Klub grob übersetzt. Der hat sich auf die belgischen Rexisten spezialisiert, die unter dem berüchtigten SS-Offizier Léon Degrelle in Wallonien für Hitler kämpften. "Für mich ist das Eintauchen in die Militärgeschichte einfach die wunderbarste Sache überhaupt, das deutsche Militär fasziniert mich am meisten, weil sie technisch am präzisesten und die Soldaten am diszipliniertesten waren", sagt Vidor. "Nichts macht mir mehr Spaß."

Perfekte Kulisse

Ortswechsel, wieder die Slowakei, ein Reenactment-Festival. Das Event findet in einem Naturschutzgebiet namens Záhorie im Nordosten des Landes statt. In dem hügeligen Landschaftsstrich befindet sich das größte Dünenfeld Europas. Die Gegend ist zum Teil militärisches Sperrgebiet und wird von Nato-Staaten für fingierte Einsätze in Wüstengebieten genutzt.

Für die Reenactment-Community ist Záhorie die perfekte Kulisse, um die Gefechte des deutschen Generalfeldmarschalls Erwin Rommel und seines Afrikakorps gegen die britischen Truppen nachzustellen. "Sahara" heißt der Event und gilt in der Reenactment-Community als eines der absoluten Highlights der Sommersaison.

Im Vergleich zum relativ familienfreundlichen Event in Trenčianske Stankovce geht es beim Sahara-Festival rauer zur Sache. Wer zu dem Gelände will, muss sein Auto auf einem Parkplatz abstellen, in einen klapprigen Reisebus umsteigen, der die Besucher quer durch die wüstenartige Landschaft zu dem Festivalgelände bringt.

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Auf dem Programmplan stehen Panzershows und Gefechte zwischen britischen Einheiten und dem deutschen Afrikakorps. Unter den Reenactern und Zusehern sind zahlreiche Glatzköpfe, die mit Sprüchen wie "Meine Ehre heißt Treue" oder "Ich werde den Verrat an Deutschland erklären" tätowiert sind, einige von ihnen sprechen deutsch untereinander.

Die meisten Reenacter wollen hier gar nicht mit Medien sprechen, auch die Gruppe von sieben Männern, die aus der Nähe von Dresden angereist ist, wirkt skeptisch. Nur einer von ihnen präsentiert den Besuchern seine Uniform. "700 Euro habe ich für Outfit inklusive der Waffe ausgegeben, also gar nicht so schlimm, wenn man das mit anderen Hobbys vergleicht", sagt der Mann. "Es dauert ein wenig, bis man alle Details der Uniform zusammen hat, manches bestellt man im Internet, manches lässt man sich schneidern." Wenn man einmal alles zusammen habe, sei Reenactment ein billiges Hobby.

Zwei- bis dreimal im Jahr

Der Mann erzählt, dass sich die sieben Freunde einen Bus mieten, Proviant kaufen sie gemeinsam in der Slowakei, hier sei sowieso alles superbillig. "Die meisten Reenacter campen auf dem Gelände, das erhöht natürlich auch das authentische Frontfeeling und somit auch den Spaß. Die Soldaten haben damals sicher viel Schlimmeres durchgemacht und ja auch nicht gejammert."

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Wenn man dieses Hobby betreiben wolle, müsse man nach Tschechien und in die Slowakei fahren, sagt der Mann. "Wir fahren zwei- bis dreimal im Jahr rüber, nur hier können wir ungestört spielen, ohne dass man uns ständig als verkappte Nazis bezeichnet." Mehr will der Mann nicht sagen, plötzlich wendet er sich ab und geht.

Beim Festival in Záhorie sieht man viele bekannte Gesichter aus der Reenactment-Szene. Lena und ihre Kolleginnen von den "Kämpferinnen der Wehrmacht" sind ebenso dabei wie der Informatiker Vidor und seine Freundin Lenka.

Für die beiden ist es ihr erstes Sahara-Festival und eine Art Ritterschlag. "Hier werden nur richtig gute Klubs eingeladen, die Uniformen müssen passen, man braucht Fahrzeuge und muss als Verein gut organisiert sein, hier sind nur professionelle Reenacter", sagt Vidor und strahlt. "Mit dem Sahara-Festival ist ein Traum von mir in Erfüllung gegangen."

Militärische Gefechte

Wenige Tage später laden Vidor und Lenka die Besucher zu sich nach Hause ein. Die beiden wohnen in Kyjov, einer Kleinstadt etwa 20 Kilometer südlich von Brünn. Die gemeinsame Wohnung ist knapp 50 Quadratmeter groß, ein auf den ersten Blick unauffällig eingerichteter Neubau, der mit Ikea-Möbeln eingerichtet ist. Nur wer sich ein wenig genauer umsieht, entdeckt die kleine Büste von Benito Mussolini auf einem Regal. Und in der Wohnküche hängt ein signiertes Porträt eines Soldaten der Wehrmacht.

Es ist Rudolf von Ribbentrop, der deutsche SS-Hauptsturmführer und Sohn von Hitlers Außenminister Joachim von Ribbentrop. "Die hat Ribbentrop persönlich mir und den Mitgliedern meines Klubs geschenkt, die Kontakt mit ihm hatten. Das war zwei Jahre vor seinem Tod", sagt Vidor.

Warum er sich ein signiertes Portrait von Rudolf von Ribbentrop aufhängt? "Weil ich ein Fan dieser Zeit bin und die Wehrmacht gut finde."
Foto: Kurt Prinz

Warum er sich so etwas aufhängt? "Weil ich ein Fan dieser Zeit bin und die Wehrmacht besonders gut finde", sagt Vidor. Und wie er zur NS-Zeit stehe, zu den Konzentrationslagern und dem Holocaust? "Das alles ist furchtbar und lehne ich natürlich ab. Bei Reenactment geht es um die militärischen Gefechte", sagt er.

"Stolze Patrioten"

All die Reenactment-Events seien nicht politisch, mit nationalsozialistischem Gedankengut habe er nichts am Hut. "Ich weiß, was die Nazis angerichtet haben, das braucht mir niemand zu erzählen – genauso wie die anderen Seiten viel Schlimmes angerichtet haben", sagt er.

Vidor öffnet für die Besucher seinen Kleiderschrank. Weit über 20 Uniformen sind da zu sehen, die meisten sind Uniformen der Wehrmacht, unter seinen Kostümen sind aber auch Kleidungsstücke von slowakischen Partisanen.

Vidor erklärt in allen Details die unterschiedlichen Modelle der Uniformen, Schnitt, Farbe, Gamaschen und Form der Kappen, warum er welche Uniform hat und zu welchen Anlässen er welche trägt. Vieles habe er anfertigen lassen, manches im Internet erstanden, manche Uniformen haben ihm andere Reenacter geschenkt.

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Ob sie ihre SS-Uniformen für ein paar Fotos anziehen sollen, fragen Vidor und Lenka die Besucher und verschwinden sofort im Badezimmer, um sich umzuziehen und in ihrem Outfit zu posieren.

Beide bezeichnen sich als "stolze Patrioten" und "vaterlandsliebend". Beide halten Donald Trump für einen "guten Politiker, der in vielen Punkten recht" habe. Beide wählen die Slowakische Nationalpartei SNS. "Aber das ist uns wichtig: Politik spielt im Reenactment keine Rolle, so wie alle Mitglieder von den historischen Klubs halten wir Politik und Spiele strikt getrennt, sonst bekommen wir Probleme."

Bei uns darf man sich austoben

Irgendwann beginnt Vidor von seinen österreichischen Freunden in der Reenactment-Szene zu erzählen. Er kenne viele Leute aus Oberösterreich, Tirol und Niederösterreich, die bei den Festivals dabei sind und Mitglieder in den historischen Klubs seien. "Die halten sich natürlich bedeckt, ich weiß, dass in Österreich niemand Nazi-Uniformen in der Öffentlichkeit tragen darf – also kommen viele Österreicher zu den Festivals in die Slowakei und Tschechien, bei uns dürfen sie sich austoben", sagt Vidor und lacht.

Einige dieser Österreicher kommen zum Beispiel zu einem kleinen Reenactment-Festival in die tschechische Kleinstadt Plumlov, eine 2000-Seelen-Gemeinde nur wenige Kilometer hinter der österreichischen Grenze.

An einem milden Freitag Ende September findet hier einer der kleineren Events statt. Diesmal werden Kämpfe zwischen den Nazis und der Organisation Ukrainischer Nationalisten auf der einen Seite und der Roten Armee auf der gegnerischen Seite gezeigt. Austragungsort ist eine Burgruine, die an ein Schloss der Familie Lichtenberg angrenzt.

Die Show in Plumlov ist verglichen mit denen in Záhorie oder Trenčianske Stankovce lau, hier gibt es keine Flugzeuge, keine Panzer und keine Pyrotechnik. Kaum mehr als 150 Besucher sind gekommen, um die Gefechte zu sehen. Einziger Höhepunkt ist ein junger Mann, der als Kosake verkleidet ist und einen traditionellen Säbeltanz vorführt.

Weiter drüben steht ein Mann mit strengem Seitenscheitel und einer SS-Uniform. Er sieht die Fotokamera und den Notizblock der Besucher, nähert sich und fragt, was sie hier zu suchen hätten.

Foto: Kurt Prinz

Die Situation wird unangenehm, der Mann will, dass die Besucher das Festival verlassen und die Teilnehmer gefälligst in Ruhe lassen. Später erzählt der Mann, dass er aus Wien kommt. Wie er heißt und was er beruflich macht, will er nicht verraten, auch Fotos lehnt er strikt ab. Schließlich erklärt er sich für ein kurzes, anonymes Gespräch bereit:

STANDARD: Warum machen Sie bei solchen Reenactment-Festen mit?

Teilnehmer: "Jedes Hobby hat seinen Reiz."

STANDARD: Was ist der Reiz an diesem Hobby?

Teilnehmer: "Ich interessiere mich für die Zeit, mehr nicht. Krieg ist das Schlimmste überhaupt, da sind wir uns alle einig, aber diese Zeit war doch auch sehr spannend. Es geht darum, die Militärhistorie als Ganzes darzustellen, wir spielen auch gerne Gefechte des Ersten Weltkriegs, aber auch des Zweiten Weltkriegs nach, mehr nicht. Es ist lebendiger Geschichtsunterricht."

STANDARD: Welche Uniform tragen Sie da?

Teilnehmer: "Ein Modell aus 1943 der SS, das ich extra habe anfertigen lassen."

STANDARD: Ist es nicht verboten, so etwas zu tragen?

Teilnehmer: "In Österreich ja, aber nicht in Tschechien, deswegen müssen wir rüberfahren, um bei solchen Events mitzumachen."

STANDARD: Tragen Sie auch Uniformen von Briten, Amerikanern oder Partisanen?"

Teilnehmer: "Nein, eigentlich nicht", sagt der Mann und beendet das Gespräch.

Informationen über Kriegsgräuel, Hinrichtungen oder Konzentrationslager sucht man hier vergeblich.
Foto: Kurt Prinz

Harmlose Spiele spielen

Zurück in Trenčianske Stankovce, das Festival ist so gut wie vorbei. Vor einem der Schützengräben steht ein junger Mann in Wehrmachtsuniform und Hakenkreuzbinde am rechten Oberarm. Er spricht zunächst gebrochen englisch, dann deutsch. Seinen Namen will er nicht sagen, nur so viel: Er komme aus Ried in Oberösterreich und sei seit zwei Jahren regelmäßig bei Reenactment-Festen in der Slowakei und Tschechien.

Warum das? "Na, ganz einfach, weil wir hier anders als in Österreich Spaß haben können. Die Österreicher verstehen einfach nicht, dass wir hier nur harmlose Spiele spielen, in Wahrheit ist es wie bei den Pfadfindern oder einem Sportverein."

Für 2020 war der Kalender für Reenactment-Festivals in Tschechien und der Slowakei bereits dicht gefüllt. Dann kam Corona, und alle Events mussten ausnahmslos abgesagt werden. "Ja, wir sind alle traurig, aber schön langsam geht es wieder los, es gibt ein paar kleinere Events, bei denen wir mitmachen können", sagt Vidor in einem Skype-Gespräch und verspricht: "2021 wird dafür umso größer, da werden wir alles Bisherige toppen, kann ich euch versprechen." (Gunther Müller, 3.10.2020)