Es ist erstaunlich, wie schnell der Zustand des Erholtseins wieder verfliegen kann.

Es ist erstaunlich, wie schnell der Zustand des Erholtseins wieder verfliegen kann. Ein Wochenende lang befand ich mich darin, freischwebend, sorgenfrei, mit leichtem Sonnenbrand im Gesicht. Die Rückfahrt von Trieste nach Wien lief ebenfalls wie am Schnürchen, es war am Abend noch genug Zeit, die Tasche auszupacken und sich auf den morgigen Arbeitstag vorzubereiten. Schlüssel rein, Tür auf, Licht, Schock.

In meinem Flur stehend sah ich sie. Durch das Licht wurde sie im Wohnzimmer leicht in Szene gesetzt. Sofort ließ ich die Tasche fallen. In meinem Sichtfeld, und doch war ich noch gute fünf Meter entfernt: die größte Hauswinkelspinne, die ich je gesehen habe.

Wer es sich noch nicht gedacht hat: Ich habe wahnsinnige Angst vor Spinnen. Wenn ich sage, dass ich mich beim Anblick nicht bewegen konnte, dann meine ich das genauso. Als Therapie habe ich vergangenes Jahr über Hauswinkelspinnen geschrieben, wie sie dabei helfen, die Wohnung insektenfrei zu halten und so weiter. Aber all diese hilfreichen Facetten waren beim Anblick dieses haarigen Etwas verstrichen. Vernunft war vergessen. Instinkt setzte ein.

Zu groß für das Rohr des Saugers

Ich tat also das Einzige, was meine Angst überwinden würde – ich rief den Nachbarn um Hilfe. Der kam mit einem Siegerlächeln aus seiner Wohnung und versicherte mir, den unliebsamen Mitbewohner nach draußen zu befördern. Doch als er meine Wohnung betrat, dämmerte es ihm, und er sagte verzweifelt: "Bist du deppat, wie soll ich die denn töten?"

Ich erspare Ihnen die Ausführung, ob und wie es am Ende passiert ist. Nur so viel: Ich stand währenddessen mit der Frau meines Nachbarn mit der Hand vor den Augen im Stiegenhaus. Und nein, ich hätte das Kerlchen nicht einsaugen können, das hat die Kollegin auch schon gefragt – sie hätte nicht ins Rohr gepasst. (Thorben Pollerhof, 2.10.2020)