Die riesige Salatschüssel, Pardon, Disco-Halbkugel ...

Foto: Ossip van Duivenbode

... soll die Öffentlichkeit einladen, ...

Foto: Rob Glastra

.... die Kunstsammlung von Bojimans Van Beuningen zu bestaunen.

Foto: Rob Glastra

Ein paar Zentimeter nur. "Das war die Distanz zwischen der Wasseroberfläche bei der Überschwemmung 2013 und unseren großformatigen Gemälden von Rembrandt, Bosch, Magritte, Monet und Dalí", sagt Sjarel Ex, Direktor des privaten Kunstmuseums Boijmans Van Beuningen. "Es kam kein einziges Kunstwerk zu Schaden, aber das grenzt an ein Wunder. In einer Stadt, die zu 90 Prozent unter dem Meeresspiegel liegt, werden wir in Zeiten des dramatischen Klimawandels so ein Glück kein zweites Mal haben."

Sieben Jahre später sind die Folgen der eingeschlagenen Sicherheitsstrategie von weitem schon sichtbar. Wie eine verspiegelte Salatschüssel steht das neue Kunstdepot inmitten des Rotterdamer Museumsparks, umzingelt von Bäumen, Straßen und künstlichen Becken. Zum Museumsaltbau Boijmans Van Beuningen von Ad van der Steur, einem denkmalgeschützten Bauwerk aus dem Jahr 1935, sind es 100 Meter Luftlinie. Der dunkle Ziegelkoloss mit der leuchtturmartigen Kupferspitze spiegelt sich gut sichtbar in den konvex gewölbten, verzerrenden Scheiben.

"Salatschüssel? Echt jetzt? Ist es das, was Sie hier sehen, nachdem wir uns jahrelang durch das Projekt gerackert haben?" Winy Maas, Mastermind des Rotterdamer Architekturbüros MVRDV, das sich vor einigen Jahren in einem kleinen geladenen Wettbewerb gegen seine holländischen, chinesischen und Schweizer Konkurrenten durchsetzen konnte, möchte lieber ein anderes Bild bedienen. "Ich bezeichne das Depot ja gerne als eine Art Discokugel, die mitten ins Zentrum hineingekracht ist. Dann machen auch die gerasterten Linien, die wir eigentlich vermeiden wollten, einen Sinn."

Machbarer Kompromiss

Ursprünglich, sagt Maas, hätte das runde Kugellager in eine polierte Edelstahlfassade wie Anish Kapoors Skulptur Cloud Gate in Chicago eingepackt werden sollen. "Wir wollten, dass sich das Haus vollkommen entmaterialisiert, dass es als reine Reflexion im Stadtgefüge verschwindet. Das war der Plan, das war unsere Vision." Der leistbare, technisch machbare Kompromiss fand sich in einer verspiegelten Glasfassade aus insgesamt 1664 zwei- und dreiachsig gekrümmten Einzelscheiben, die in China produziert wurden. Ein paar letzte Glaselemente, Opfer des Corona-Lockdowns, nicht zu übersehen, sind im Hafen Abu Dhabi hängengeblieben.

Letzte Woche wurde das außergewöhnliche Bauwerk, das die internationale Museumslandschaft so richtig aufwirbeln und entstauben dürfte, nach drei Jahren Bauzeit fertiggestellt und erstmals der Presse und der Öffentlichkeit vorgestellt. "Das ist das erste und letzte Mal, dass man dieses Haus leer vorfinden wird", sagt Direktor Sjarel Ex. Nach der Grundreinigung soll das Depot von Dezember 2020 bis April 2021 mit rund 151.000 Kunstwerken – darunter Gemälde, Zeichnungen, Fotografien, Drucke, Filme, Skulpturen und Designobjekte aus sieben Jahrhunderten – befüllt und anschließend möbliert und finalisiert werden. Geplante Eröffnung: September 2021.

"Doch anders als in der Vergangenheit", meint Ex, "soll die eingelagerte Kunstsammlung Boijmans Van Beuningen nicht verschlossen, sondern für die Bevölkerung zugänglich gemacht werden. Ähnlich wie das Schaulager der Laurenz-Stiftung in Basel, nur zigmal größer und vor allem nicht irgendwo an den Stadtrand verbannt." Ein durchschnittliches Kunstmuseum ist in der Lage, vier und sechs Prozent seines Kunstbestandes auszustellen. "Doch was ist mit all den anderen 94 Prozent unserer Sammlung? Mit all den anderen Werken von 1300 bis heute? Bei uns werden die Besucher die Möglichkeit haben, all diese eingelagerten Schätze jederzeit einsehen zu können", sagt der Direktor.

Selfstorage für Reiche

Zwei hochverspiegelte Hub-Schiebe-Türen öffnen sich wie von Geisterhand, "als ob sich die Schädeldecke entzweien und die darin verborgenen Gehirnwindungen und Kunstwerke offenbaren würde", sagt Winy Maas in pathetisch-pathologischen Worten. Die Technik für die beiden tonnenschweren, mehr als vier Meter hohen, sich geräuschlos bewegenden Türen hat sich MVRDV von der Autobus-Industrie abgeschaut.

Erst im Inneren, im sechsgeschoßigen, lichtdurchfluteten Atrium mit seinen gläsernen Lastenliften, erschließt sich die Größe dieses Gebäudes: 38 Meter Höhe, 60 Meter Durchmesser, 15.000 Quadratmeter Nutzfläche. Unterteilt ist das auf acht Milliarden Euro versicherte Kunstdepot, das im Brandfall erst mit Unterdruck, Sauerstoffentzug und Schaum und erst in letzter Instanz mit Wasser gelöscht würde, in fünf Klimazonen mit unterschiedlichen Temperaturen und Luftfeuchtigkeiten. Knapp 2000 Quadratmeter Lagerfläche werden – eine Art Selfstorage für Reiche – an Fremdsammler vermietet.

Finanziert wurde der 92 Millionen Euro teure Bau zu 60 Prozent aus öffentlichen Geldern. Der Rest stammt von einem privaten Kunstsammler sowie von kleineren Spenden, indem man für jede einzelne der 1.664 Spiegelscheiben eine Patenschaft übernehmen konnte. "Wir brechen hier mit allen Konventionen eines Museums", sagt Sjarel Ex. "Ich träume von einem Netzwerk aus 20, 30 Kunstmuseen weltweit, samt Metropolitan in New York und Kunsthistorischem in Wien, die ihre enormen Lagerbestände real und digital endlich zugänglich machen und vielleicht sogar untereinander verleihen. Ich träume von einem Sekundärmuseum hinter der offiziellen Institution mit ihren hübsch inszenierten, kritisch kuratierten Ausstellungen. Das würde die Kunstvermittlung revolutionieren und unseren kulturellen Reichtum für viele Menschen transparenter machen." (Wojciech Czaja, 3.10.2020)