Historische Postkarte aus Braunau: Sich mit dem "österreichischen" Teil von Hitler, also den Wurzeln, wenn man so will, auseinanderzusetzen ist zweifellos angebracht.

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Woher kommt das alles, was wenige Jahrzehnte später zu Krieg und Völkermord geführt hat? Hat das wirklich mit Linz und Wien zu tun? In einer Ausstellungsbesprechung in der französischen Zeitung Le Figaro konnte man von der "verborgenen Seite der Belle Époque" lesen, und zu der gehörten nicht nur Klimt, Schiele, Mahler oder Freud, sondern auch ein gewisser Adolf Hitler. Aber hat das eine mit dem anderen zu tun?

Sich mit dem "österreichischen" Teil von Hitler, also den Wurzeln, wenn man so will, auseinanderzusetzen ist zweifellos angebracht, zumal es nur ein einziges bekanntes seriöses Werk dazu gibt: Brigitte Hamanns Hitlers Wien (erschienen 1996); die Linzer Zeit ist dagegen nie umfassend und nur von zweifelhafter Zeitzeugenschaft, Marke Memoirenliteratur, beleuchtet worden.

Zwar kommt auch die Museumskultur nicht ohne Effekte aus, und eine Ausstellung über Hitler ist per se ein Drahtseilakt, weil man um die Aufmerksamkeit für seine Person nicht herumkommt. Aber zumindest ist der Blickwinkel ein anderer, wenn er auf die gesellschaftspolitischen Hintergründe gelenkt wird, die die Person erklären oder verständlich machen sollen.

Abnehmende Geschichtskenntnisse

Ob das eine Ausstellung eher zustande bringt als ein Buch oder umgekehrt, ist müßig zu fragen. In beiden Fällen geht es um Information, und die ist angesichts signifikant abnehmender Geschichtskenntnisse in der Gesellschaft dringend notwendig. Zweifelhaft bleibt allerdings, ob man den Abgrund Hitler mit dem Fokus auf dessen österreichische Jugendjahre wirklich erklären kann.

Darauf hat schon Brigitte Hamann nachdrücklich hingewiesen: Hitlers politischer Antisemitismus lässt sich nicht an den Wiener Jahren festmachen und noch weniger an der Zeit in Linz.

Also was könnten uns Ausstellung und Buch vermitteln? Der Blick aufs Milieu ist zweifellos immer erhellend. Da ist einmal der autoritäre Vater, freisinnig, antiklerikal. Und da ist das Linzer Bürgertum, großdeutsch eingestellt, was damals "liberal" hieß. Mit Linz kommt Hitler erstmals 1898 in Berührung, als der Vater in der Nachbargemeinde Leonding ein Haus erwirbt, zwei Jahre später, als Elfjähriger, wird er Schüler der Linzer Realschule, wo er sich lernunwillig zeigt und gleich in der ersten Klasse sitzenbleibt.

Jähzornig und provokant

Schon damals gefällt er sich in der "Führerrolle", er gibt in der Klasse den Ton an, verlangt "unbedingte Unterordnung" von seinen Mitschülern, ist rechthaberisch, anmaßend, jähzornig und provokant.

"Hitler ist ein Bösewicht, er spiegelt mit dem Sonnenlicht", lautet einmal eine Klassenbucheintragung. Später kann er auch auf der Realschule in Steyr nicht reüssieren, zurück in Linz wird er endgültig zum verkrachten, sonderlinghaften Bohemien, den weder die Schule noch das Arbeiten freut.

Umso mehr setzt er sich, neben seinen Künstlerträumen, mit den politischen Strömungen auseinander, und da war die oberösterreichische Landeshauptstadt ein wahrlich prägender Boden. Die Dichte an deutschnationalen, völkischen Vereinen war geradezu erschreckend, überhaupt wurde der Kulturkampf in Oberösterreich besonders heftig geführt (was bis heute auch den hohen Wähleranteil der FPÖ hier erklären mag).

Die ideologische Prägung, die Hitler nicht zufällig in Linz erfahren hat, hat er in Mein Kampf entsprechend hervorgehoben: Das hier erlebte politische Klima habe in ihm den "Beschluss" reifen lassen, "fanatischer Deutschnationaler" zu werden.

Vorausgriff auf den späteren Massenmord

Das sah in der Praxis etwa so aus, dass der Realschüler seine Klassenkameraden in Germanen und Nichtgermanen, Arier und Nichtarier einteilte: Die einen mussten sich links, die anderen rechts aufstellen. Dass das im Buch nur am Rande, in einem Satz, vorkommt, überrascht: Der Szene kann man zwar keinen Vorausgriff auf den späteren rassischen Massenmord unterstellen, aber sie erinnert im Nachhinein fatal an die Selektionen in Auschwitz.

Der spätere Antisemitismus, Grundstein in Hitlers Vernichtungsprogramm, scheint im Linzer Milieu indes nicht zu wurzeln, dafür gab es, wie Hitler selbst bemerkte, auch viel zu wenige Juden in der Stadt – was freilich die katholisch und deutschnational ausgerichteten Linzer Zeitungen nicht vor besonders übler antisemitischer Stimmungsmache abhielt. Aber es ist so, wie Hitler es selbst bekundete, dass das Wort "Jude" im väterlichen Hause kaum fiel.

Faszination für das Althergebrachte

In Wien ist Hitler – angeblich – sogar mit Juden befreundet oder verkauft über sie seine mittelmäßigen Postkartenbilder. Es sind die Jahre im Männerheim, in denen der "malende Möchtegernpolitiker" noch enttäuschter seinen Träumen nachhängt. Um nicht zu verhungern, kopiert er Alt-Wien-Motive, typisch für seine rückwärtsgewandte Kunstauffassung.

Das Althergebrachte fasziniert ihn, mit der Moderne kann er nichts anfangen, er ist geradezu deren Antipode, sein Interesse gilt einzig den historischen Formen: Einmal will er Sempers Projekt des Kaiserforums vollenden, das den Heldenplatz imperial hätte abschließen sollen, ein andermal eine Oper komponieren, die Richard Wagner nur angedacht hatte (dabei konnte er nicht einmal Noten schreiben).

Was war dieser Jugendliche anderes, möchte man fragen, als ein armseliger Traumtänzer, größenwahnsinnig und schüchtern zugleich, der am Morgen schwer aus dem Bett fand und dann, wenn er einmal auf war, endlose Monologe zu führen beliebte, völlig unkonzipiert, um sich danach an "grandiosen Projekten bis tief in die Nacht" zu berauschen?

Leidenschaft und Wille

Einzig und allein Leidenschaft und Wille, war Hitler überzeugt, mache das Genie aus. So dilettierte er in fast allen Kunstrichtungen: Er malte Gebäude (in dürftiger Qualität), er schrieb Novellen (obwohl es in Stil und Grammatik bei ihm haperte), er wähnte sich als Städteplaner und entwarf am Reißbrett, perspektivisch nicht immer richtig, monumentale Architekturen (in Linz wollte er gar eine Bogenbrücke von der Gugl bis zum Pöstlingberg spannen), und sogar Klavierunterricht hatte er genommen, weil er sich auch in der Musik zu Höherem berufen fühlte.

Es sind da wie dort lächerliche, von Selbstüberschätzung geprägte Versuche. Dass der Erfolg überall ausblieb, quittierte der dandyhafte, zur Selbststilisierung neigende Einzelgänger mit Tobsuchtsanfällen und Verachtung für alles Bürgerliche.

So bleibt es beim "narzisstischen Lebensentwurf" eines Gescheiterten und Hitler der gesellschaftliche Außenseiter, ein Halbgebildeter, Halbbegabter, der auch für keinen bürgerlichen Beruf taugte, weil es ihm obendrein an Disziplin, Ausdauer und Fleiß fehlte, dem also nichts anderes übrig blieb, möchte man meinen, als Politiker zu werden (mit den bekannten Folgen).

Der "Künstler-Politiker". Das liest sich wie ein bitterer satirischer Lebenslauf, und gewiss muss man sich fragend vor Augen führen, ob sich das wirklich so vereinfachend zusammenfassen lässt. Zum Gescheitesten, das über Hitler geschrieben wurde, gehören Sebastian Haffners Anmerkungen zu Hitler (1978).

Dort heißt es über dessen "persönliche Substanz", die so gut wie "keine Entwicklung und Reifung" durchgemacht habe: "Sein Charakter ist früh festgelegt – ein besseres Wort wäre vielleicht: arretiert – und bleibt sich auf erstaunliche Weise immer gleich; nichts kommt hinzu. Kein einnehmender Charakter." (Gerhard Zeillinger, 4.10.2020)