Die Verteidigungsrede des christlichsozialen Politikers Dollfuß ist der Inhalt dieses Buches.

Foto: Verein für die Geschichte der Arbeiterbewegung

Schon das Setting allein hat es in sich: acht Geschworene, drei Berufsrichter mit einer Richterin als Vorsitzende, eine Staatsanwältin und der aus seinem Grab in Wien-Hietzing exhumierte Engelbert Dollfuß als Angeklagter. Dem nach seiner Ermordung durch Nationalsozialisten im Juli 1934 posthum zum "Märtyrerkanzler" stilisierten Diktator wird eine lange Liste an Delikten vorgehalten.

Die "Speisekarte" reicht von Mord über Folter und Hochverrat bis zu Missbrauch der Amtsgewalt und schwerem Diebstahl. Der Ex-Diktator Dollfuß macht von seinem Recht auf eine zusammenhängende Sachverhaltsdarstellung Gebrauch.

Die Verteidigungsrede des christlichsozialen Politikers Dollfuß ist der Inhalt dieses Buches. Um es vorwegzunehmen: Die Tatbestände seien wohl erfüllt, räumt Dollfuß ein, er plädiert aber auf "entschuldbaren Notstand". Er und seine Leute hätten so handeln müssen, um größeren Schaden von Österreich abzuwenden.

Viel historisches Detailwissen

Peter Veran hat mit viel historischem Detailwissen dieses Plädoyer aufgeschrieben. Hinter dem literarischen Pseudonym Peter Veran steht der steirische Jurist und Historiker Werner Anzenberger, der bereits zahlreiche Publikationen zum Thema Austrofaschismus vorgelegt hat. Anzenberger ist auch Vorsitzender des Bundes Sozialdemokratischer Freiheitskämpfer in der Steiermark.

Mit viel Sprachwitz und oft grotesker Komik seziert Veran in der fiktiven Verteidigungsrede die autoritären Denkmuster und ans Mittelalter angelehnten Ideologien der christlichsozialen und bürgerlich-konservativen Politiker.

Er erzählt, wie es ihnen gruselte, als im Parlament nach 1918 plötzlich Frauen das Wort ergriffen, wie exemplarisch und fast rechtsstaatlich einige Rote 1934 am Würgegalgen baumelten und wie die neuen Machthaber die Menschen einteilten: die mit geradem Charakter und die Ungeraden.

Normaler politischer Alltag

Wie besonders ungerade die Ungeraden wirklich waren, illustriert Dollfuß in seinem Plädoyer am Versagen der Sozialdemokraten nach der Ausschaltung des Parlaments im Jahr 1933.

"Ein rassiger Waffengang, ein überschaubarer Bürgerkrieg, überhaupt kein Problem, schon damals nicht." Und weiter über die sozialdemokratischen "Weicheier" ohne "soldatischen Mumm" lässt Veran seinen Engelbert Dollfuß sagen: "Mit denen, Frau Rat, kann man nicht einmal einen Bürgerkrieg machen." Ungerade eben.

Dass man – im Unterschied zum benachbarten Hitlerdeutschland – im Februar 1934 nur einige wenige Sozialdemokraten aufgeknüpft und dass man statt Konzentrationslager nur mit Kuranstalten vergleichbare Anhaltelager eingerichtet hatte, habe man ihm übrigens auch nie gedankt, beschwert sich Ex-Diktator Dollfuß.

Was beim Plädoyer des Märtyrers besonders deutlich wird: Zur Faschisierung einer Gesellschaft, zur autoritären Wende benötigt es keinen Straßenterror, keinen Putsch. Die Machtübernahme durch Faschisten und das Ende von Rechtsstaat und Parlamentarismus kann ohne weiters im Zuge des normalen politischen Alltags erfolgen. Dollfuß im Buch von Peter Veran: "Wir hatten eben einen Lauf." Und dann habe eben das eine das andere ergeben. (Thomas Neuhold, 5.10.2020)