"Doch ich sah auch die Angst, die so viele zur Einsicht bringt", trällerte Udo Jürgens 1982, während der saure Regen auf seinen Kopf tröpfelte. Es war die Zeit des Kalten Krieges, und in Westeuropa hatte man Angst, dieser Krieg könnte bald heiß werden und in einem Armageddon enden. Hunderttausende gingen auf die Straße, um gegen die Stationierung der Pershing II in der BRD und für die einseitige Abrüstung des Westens zu demonstrieren. Interessanterweise demonstrierten kaum Westdeutsche gegen die sowjetischen SS20, die genau auf sie gerichtet waren. Angst ist ein seltsamer Ratgeber, der uns bisweilen verhöhnt.

Mit Covid-19 ist dieses Gefühl der unmittelbaren Angst wieder zurückgekehrt. Die Pandemie wirft berechtigte existenzielle Sorgen auf, um die eigene Gesundheit und das Leben nahestehender Menschen, um den Arbeitsplatz oder das eigene Unternehmen, um die Bildung und Betreuung der Kinder. Manche befürchten auch, kein Klopapier mehr zu ergattern oder durch die Pflicht zum Mund-Nasen-Schutz von der Regierung versklavt zu werden.

Was hält das Ministerium vom Zugang ab?

Das österreichische Gesundheitsministerium ist ein ehrenwertes Haus. Aber auch dort ist man ängstlich. Nicht erst seit Covid-19, aber die Pandemie hat die Symptome verstärkt. Es ist die Angst, der Wissenschaft systematischen und rechtlich verbindlichen Zugang zu anonymisierten beziehungsweise pseudonymisierten Registerdaten aus dem Gesundheits-, Pflege-, Arbeitslosen- und Pensionswesen zu ermöglichen. Solche Datenbestände enthalten keine Identitätsinformationen mehr; vor allem wenn sie miteinander verknüpft werden, bergen sie aber viel Informationsgehalt über das Infektionsgeschehen von Sars-CoV-2 in der österreichischen Bevölkerung. Worin besteht also die Angst? Wir können nur spekulieren: Vielleicht will man im öffentlichen und wissenschaftlichen Diskurs die Interpretationshoheit nicht verlieren; vielleicht sind es andere politische und wirtschaftliche Eigeninteressen, weshalb man es gar nicht so genau wissen will.

Der Linzer Gesundheitsökonom Martin Halla hat vor kurzem auf Twitter anhand dreier Beispiele den Mehrwert, den Österreich aus der wissenschaftlichen Nutzung dieser Daten ziehen könnte, konkret benannt:

  • Begünstigen die Arbeitsbedingungen in manchen Branchen Covid-19-Infektionen?
  • Spielt die Zusammensetzung der Haushalte – mehrere Generationen in einem Haushalt – eine Rolle beim Infektionsgeschehen?
  • Wie wirkt sich das Pendeln zum Arbeitsplatz auf die Verbreitung von Covid-19 aus?

Italienische und spanische Daten für Österreich

Das sind eigentlich einfache und grundlegende Fragen, deren Beantwortung wichtig wäre, um die Covid-19-Pandemie effektiv stoppen zu können. Doch obwohl die Daten vorhanden sind, können diese Fragen nicht beantwortet werden. Der Zugang zu den Daten bleibt der Wissenschaft nämlich verwehrt. Auf öffentlichen Druck hin hat das Gesundheitsministerium zwar ein Datenportal für die Forschung eingerichtet. Die dort zur Verfügung gestellten Daten sind allerdings für wissenschaftliche Analysen, welche unter anderem die oben gestellten Fragen beantworten möchten, unbrauchbar.

Deswegen musste etwa das Institut für Höhere Studien (IHS) bei der Erstellung einer Covid-19-Studie über Österreich auf italienische und spanische Daten zurückgreifen, wie Thomas Czypionka, Gesundheitsökonom am IHS, zuletzt im Ö1-"Morgenjournal" berichtete. Die Aussagekraft einer solchen Studie ist allerdings beschränkt, da die Pandemieverläufe und die betroffenen Personengruppen in Italien und Spanien andere waren als in Österreich. Damit ist auch der unmittelbare Nutzen der Studie für angemessene Maßnahmen in Österreich begrenzt. Czypionka selbst übrigens macht sich keine Illusionen: "Wir sind sicherlich innerhalb der entwickelten Staaten Schlusslicht", bringt er im Interview die Lage auf den Punkt.

Mit Daten aus dem Gesundheitsministerium könnte man unter anderem Krankenbehandlung und Pflege verbessern.
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Mehr Effizienz

Das Problem ist aber selbstverständlich nicht auf Daten zur Covid-19-Pandemie beschränkt. So leidet etwa die Erforschung von Diagnose- und Behandlungspfaden und Ko-Morbiditäten bei Krebspatienten ebenso unter der Unzugänglichkeit vorhandener Daten wie Versuche, die Effizienz des stationären Versorgungssystems in Österreich zu evaluieren. Auch Daten zum Pflegegeld bleiben der Wissenschaft verschlossen. Diese Beispiele zeigen, dass es nicht nur um viel Geld geht, das im Gesundheits- und Pflegewesen vielleicht effizienter eingesetzt werden könnte. Noch viel mehr geht es darum, menschliches Leid zu verringern und auf der Basis wissenschaftlicher Evidenz die Qualität von Krankenbehandlung und Pflege zu verbessern. Dafür benötigt die Wissenschaft Daten.

Das Gesundheitsministerium soll der Wissenschaft daher den Zugang zu den Datenbeständen in seinem Wirkungsbereich ermöglichen, indem es diese in das zukünftige Austrian Micro Data Center der Statistik Austria einbringt. Damit sind auch höchste Datenschutz- und Datensicherheitsstandards garantiert, und es kommt nicht zu redundanten Insellösungen, die nicht miteinander kompatibel sind. Die Daten verbleiben immer im Austrian Micro Data Center und können nicht heruntergeladen oder weitergegeben werden. Dies wäre ein gigantischer Sprung für die österreichische Wissenschaft, von dem das ganze Land profitieren würde. "Jemand sagte zu mir, dass die Zukunft grad' jetzt beginnt ... in diesem ehrenwerten Haus", würde Udo Jürgens das in einem seiner berühmten Medleys wohl kommentieren. (Jesus Crespo Cuaresma, Thomas König, Harald Oberhofer, Caroline Schober-Trummler, Gerhard Schwarz, Michael Strassnig, 6.10.2020)

Jesús Crespo Cuaresma ist Professor für Volkswirtschaft an der WU Wien und leitet das Institut für Makroökonomie. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Makroökonomie und angewandte Ökonometrie.
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Thomas König ist Mitarbeiter des Instituts für Höhere Studien (IHS) und unterrichtet an der Universität Wien. Publikationen zu Forschungs- und Innovationspolitik, Geschichte der Sozialwissenschaften und Wissenschaftssoziologie.
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Harald Oberhofer ist Professor für Volkswirtschaft an der WU Wien und stellvertretender Vorstand des Instituts für Internationale Wirtschaft. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen wirtschaftliche Integration und Außenhandelsökonomie.


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Caroline Schober-Trummler ist Vizerektorin für Forschung und Internationales an der Medizinischen Universität Graz und Mitglied der Expert Group on Open Science/Science 2.0. der European University Association.
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Gerhard Schwarz ist Wirtschaftsforscher in Wien. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen im Bereich ökonomischer Unternehmensbefragungen und der Schaffung von Zugängen der Wissenschaft zu Register- und Statistikdaten.
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Michael Strassnig ist Programmmanager beim Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds.
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