Mitglied der SPÖ ist sie nicht, die Werte der Partei teile sie aber: Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler.
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Es herrscht Wahlkampf im Wiener Rathaus – Kulturthemen spielen darin aber kaum eine Rolle, und das, obwohl das kulturelle Leben bis vor kurzem daniederlag und viele Kulturschaffende und -institutionen auch jetzt nicht wissen, wie es weitergehen wird. Viel Tatendrang versprüht immerhin Quereinsteigerin Veronica Kaup-Hasler. Die Kulturstadträtin ist seit zweieinhalb Jahren im Amt.

STANDARD: Sie haben sich bei Amtsantritt als "seltsames Wesen" in der Politik bezeichnet. Haben Sie sich mittlerweile mit ihr arrangiert?

Kaup-Hasler: Ich habe mein seltsames Wesen im Rathaus implementiert und es geschafft, damit Politik zu machen. Arrangieren ist nicht meine Sache, wird es auch nie sein.

STANDARD: Anfangs soll es zwischen Ihnen und Bürgermeister Ludwig nicht ganz einfach gewesen sein. Wie ist das Verhältnis mittlerweile?

Kaup-Hasler: Das ist ein Gerücht, das ich hier zum ersten Mal höre. Von Anfang an gab es großes Vertrauen, und das, obwohl er mich gar nicht kannte.

STANDARD: Ludwig hat Ihnen für die Wahl einen sicheren Listenplatz angeboten, Sie haben Nein gesagt. Können Sie sich mit dem Programm der SPÖ nicht identifizieren?

Kaup-Hasler: Es ist Zeit, dass Menschen aus der Zivilgesellschaft sich politisch engagieren. Ich kann wunderbar mit den Werten leben, die der SPÖ zugrunde liegen. In meiner ganzen Biografie war ich immer ein Mensch, der sehr unabhängig war. Es wäre ein Zeichen von Feigheit, mich aus Sicherheitsgedanken bei einer Partei einzuschreiben. Es ist klar, für wen ich kämpfe.

STANDARD: Die Kultur spielt im Wahlkampf kaum eine Rolle. Stellt man sie bewusst nicht in die Auslage?

Kaup-Hasler: Das sehe ich anders. Die Kultur ist sehr laut. Es gab keine Stadt der Welt, die mit dem Kultursommer ein so dichtes Kulturprogramm gezeigt hat wie Wien. Über 1000 Veranstaltungen mit über 2000 Künstlern!

STANDARD: Ich habe über den Wahlkampf gesprochen.

Kaup-Hasler: Der Bürgermeister hat in seinen Auftritten klargemacht, wie sehr er für die Kultur eintritt. Er hat es auch damit klargemacht, dass er das Kulturbudget um zehn Prozent angehoben hat. Das sucht seinesgleichen! Aber klar, bei einer Wahl geht es um Themen, die die unmittelbare Existenz von Menschen betreffen. Da stehen Kulturthemen nicht immer im Vordergrund.

STANDARD: Der einzige Aufreger bisher war das Facebook-Posting von Robert Menasse gegen einen Wahlkampfslogan von Gernot Blümel. Haben Sie sich die Hände gerieben?

Kaup-Hasler: Ich fand es ein schlagfertiges und kluges Statement von Menasse. Wir vermissen immer wieder mutige Worte gegen dieses Wien-Bashing der ÖVP und gegen deren Politik der Unmenschlichkeit. Ich vermisse die übrigens auch vonseiten der Grünen, es gab eine Zeit, als diese Partei für ein kritisches, humanistisches Aufbegehren stand.

STANDARD: In einer Koalition werden Kompromisse gemacht.

Kaup-Hasler: Hier geht es aber um Haltungslosigkeit. Diplomatie ja, aber ich möchte mitkriegen, wofür man kämpft. Bei entscheidenden gesellschaftspolitischen Fragen brauche ich keine Choreografie der Einstimmigkeit. Differenz macht das Wesen von Demokratie aus.

STANDARD: Sie rühmen sich mit dem Kultursommer, den Sie innerhalb kürzester Zeit auf die Beine gestellt haben. 50.000 Besucher haben Sie gezählt. Ist das nicht arg we nig? Niavaranis Theater im Park hatte rund 80.000 Besucher.

Kaup-Hasler: Das muss man differenzierter sehen. Es ging auch darum, die Gefahr möglicher Ansteckungsherde zu minimieren. Deshalb haben wir anfangs wenig Werbung gemacht. Wir hatten zudem wenig Vorlaufzeit, die Programme sind im laufenden Galopp entstanden.

STANDARD: Es lag an der Kommunikation?

Kaup-Hasler: Das ist der eine Punkt. Der andere, dass es sich bei den 50.000 Besuchern um jene handelt, die sich in zugewiesenen Bereichen befanden, in dem man sich registrieren musste. Drumherum standen aber oft mindestens doppelt so viele Leute. Die Gesamtzahl der Besucher ist somit weit höher.

STANDARD: Es hat lange gedauert, bis man in der Corona-Krise an die Kultur gedacht hat. Mittlerweile gibt es eine ganze Reihe an Hilfsmaßnahmen. Viele werden aber nicht ausgeschöpft. Von den 90 Millionen, die etwa im Überbrückungsfonds bereitgestellt wurden, sind bisher gerade einmal 25 beantragt worden. Hat man sich vom Aufschrei der Künstler zu sehr beeindrucken lassen?

Kaup-Hasler: Auf keinen Fall. Die existenziellen Nöte sind enorm. Die Frage ist doch, in welchem Zeitraum, welche Maßnahmen gesetzt wurden und mit welcher Transparenz. Die Kommunikation, wie man Hilfe beantragt, war und ist nicht optimal – zum einen. Zum anderen ist die Bürokratie überbordend. Man müsste sich permanent mit den neuen Richtlinien beschäftigen, um da durchzublicken. Zum Beispiel dürfen all jene, die ein Arbeitsstipendium der Stadt Wien bekommen haben, nicht beim Härtefallfonds ansuchen. Das ist eine völlige Schikane! Man hätte von Anfang an einen großen Rettungsschirm über die Kultur aufspannen müssen.

STANDARD: Die Stadt Wien hat bis jetzt 2300 Arbeitsstipendien für Kulturschaffende gewährt. Fred Sinowatz hat das Wort von "Kulturpolitik als Sozialpolitik mit anderen Mitteln" geprägt. Sind wir jetzt genau dort angekommen?

Kaup-Hasler: Ein aus dem Zusammenhang gerissenes historisches Zitat hilft uns nicht weiter. Wenn wir in der Politik sehen, dass Notlagen auftreten, muss man sich fragen, ob die Mittel und Maßnahmen, die wir setzen, ausreichend sind, um diese Not zu beheben. Bei den Arbeitsstipendien sind wir anfangs von einer Million ausgegangen und schlussendlich bei 6,3 Millionen gelandet.

STANDARD: Der Fleckerlteppich an Hilfsleistungen für Kunst und Kultur ist mittlerweile dicht gewoben. Was fehlt noch?

Kaup-Hasler: Die angekündigte Ausfallhaftung ist ein richtiger Schritt der Staatssekretärin. Wir warten auf die Richtlinien, um zu sehen, wie positiv er am Ende sein wird. Planungen von Veranstaltern müssen wieder ermöglicht werden. Die Frage ist aber, wer die Defizite, die sich durch Veranstaltungen mit reduziertem Platzangebot ergeben werden, abgelten wird. Die Stadt hat alle Kultureinrichtungen gebeten, ihre Einnahmeverluste zu skizzieren, damit wir gemeinsam mit dem Bund analysieren können, ob die Maßnahmen ausreichend sind oder nachgeschärft werden müssen.

STANDARD: Bei Amtsantritt haben Sie versprochen, eine Lösung für das Koproduktionshaus Brut am Karlsplatz zu finden. Es wird nach St. Marx ziehen, haben Sie unlängst bekannt gegeben. Wird Performancekunst in die Peripherie abgeschoben?

Kaup-Hasler: Es wäre nicht sinnvoll gewesen, fünf Millionen Euro in das Brut im Künstlerhaus zu stecken, in ein Gebäude, das uns nicht einmal gehört – vor allem wenn es einen Ort gibt, der wesentlich größer ist, der mit Probenräumen und Studios aufwartet. St. Marx ist eine absolute Verbesserung. Wenn man ein bisschen in der Welt herumkommt, dann weiß man, dass der Weg dorthin eine lächerliche Distanz ist. In ein paar Jahren wird St. Marx ein Hotspot der Stadt sein.

STANDARD: Ein weiteres Sorgenkind war und ist das Volkstheater. Jetzt wurden wichtige Gremien mit Vertretern des Bundes besetzt, jene des ÖGB haben sich zurückgezogen. Was verbessert sich dadurch?

Kaup-Hasler: Mir war es von Anfang an wichtig, die Verantwortlichkeit des Bundes anzusprechen. Gemeinsam haben wir das Volkstheater saniert. Klarerweise müssen sich in den Gremien die reale Struktur der Subventionsgeber abbilden. Wenn der ÖGB nicht zahlt, muss er auch nicht in den Gremien sitzen.

STANDARD: Der Bund wollte aber dem Vernehmen nach nicht.

Kaup-Hasler: Ich habe den Bund davon überzeugen können, dass das wichtig ist. Bei Blümel ging das Ganze langsamer, bei Mayer schneller.

STANDARD: Nehmen wir an, Sie sind nach der Wahl wieder Kulturstadt rätin. Ihre drei wichtigsten Ziele?

Kaup-Hasler: Fair-Pay-Maßnahmen noch stärker zu implementieren. Zweitens: kulturelle Bezirkszentren zu verstärken. Und drittens: neue Räumlichkeiten für Ateliers oder für Proben zu schaffen. (Stephan Hilpold, 2.10.2020)