Sollte Donald Trump sein Amt nicht ausüben können, würde zunächst Mike Pence eine wichtige Rolle zukommen. Die Zeit zwischen der Nominierung von Kandidaten und der Angelobung eines neuen Präsidenten ist jedoch hochsensibel, und nicht immer gibt es auf juristische Fragen eindeutige Antworten.

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Der positive Corona-Test von US-Präsident Donald Trump hat weltweit zu Spekulationen über die Auswirkungen auf den aktuellen Wahlkampf geführt. Neben all den Überlegungen zu Strategieänderungen im Lager Trumps – und wohl auch seines Herausforderers Joe Biden – sowie zum möglichen Spin, den die Diagnose der Stimmung im Land geben könnte, stellen sich auch wichtige verfassungsrechtliche Fragen: Was passiert eigentlich, wenn ein amtierender Präsident wegen Krankheit sein Amt nicht ausüben kann? Was, wenn ein Kandidat kurz vor der Wahl stirbt? Und was, wenn er stirbt, nachdem er gewählt wurde, aber noch nicht im Amt ist?

Die Antworten sind nicht immer eindeutig: Erstens gibt selbst die Verfassung nicht zu allen Eventualitäten klar Auskunft. Und zweitens gibt es vom gegenwärtigen Zeitpunkt an bis zur Vereidigung des Präsidenten mehrere Phasen, die sich juristisch in wichtigen Punkten voneinander unterscheiden. Das hat auch mit dem US-Wahlrecht zu tun, das ja streng genommen keine Direktwahl vorsieht, sondern eine durch das Electoral College, also durch die Wahlmänner und Wahlfrauen aus den einzelnen Bundesstaaten, die im Dezember auf Basis des Wahlergebnisses vom November ihre Stimmen abgeben – und dann an den Kongress übermitteln.

Szenario 1: Der Präsident erkrankt und erweist sich als amtsunfähig

Hier regelt der 25. Zusatz zur US-Verfassung das weitere Vorgehen: Der Amtsinhaber kann die Geschäfte an den Vizepräsidenten übergeben. Das kann vorab für einen bestimmten Zeitraum fixiert werden oder bis auf Widerruf gelten. Schwieriger wird es, wenn ein Präsident nicht gewillt oder nicht fähig ist, seinen Vize selbst mit der Amtsführung zu betrauen. Letzterer könnte dies dann mit einer Mehrheit der Kabinettsmitglieder "oder eines anderen Gremiums, welches der Kongress durch Gesetz bestimmen kann", auch selbst in die Wege leiten. Eine entsprechende schriftliche Erklärung müsste an den Kongress übergeben werden, die der Präsident seinerseits mit einer schriftlichen Erklärung wieder aushebeln könnte. Hält der Vizepräsident erneut dagegen, entscheidet der Kongress.

Szenario 2: Ein Kandidat stirbt vor der Wahl, die laut Gesetz von 1845 immer "am ersten Dienstag nach dem ersten Montag im November" abgehalten wird

Die betroffene Partei kann ihr jeweiliges Nationales Komitee zusammentrommeln und einen neuen Kandidaten bestimmen. Hier dürfte allerdings der Todeszeitpunkt über die weitere Agenda mitentscheiden. Die Frage ist nämlich, ob bis zur Wahl genügend Zeit bleibt, um den neuen Namen auf die Stimmzettel zu bringen. Auf alle bestimmt nicht: Eine Million Stimmen wurden im aktuellen Fall bereits abgegeben, und bei möglichen Nachnominierungen gibt es rechtliche Unterschiede zwischen den Bundesstaaten. In diesem Szenario stellt sich zudem die Frage, ob auch eine Verschiebung der Wahl denkbar wäre. Antwort: im Prinzip ja. Aber es müssten beide Kongresskammern zustimmen. Im Senat haben derzeit die Republikaner eine Mehrheit, im Repräsentantenhaus die Demokraten. Und selbst im Fall einer Einigung würde sich am Datum der Amtseinführung des neuen Präsidenten nichts ändern: Diese geht laut Verfassung auf jeden Fall am 20. Jänner über die Bühne.

Szenario 3: Der Wahlsieger stirbt nach der Wahl, aber bevor die Wahlmänner und Wahlfrauen zusammentreten

Hier käme die immer wieder thematisierte Frage ins Spiel, wie streng die Mitglieder des Electoral College eigentlich an das Wahlergebnis in ihrem jeweiligen Bundesstaat gebunden sind. Sollten oder müssten sie für einen bereits verstorbenen Wahlsieger stimmen? Oder doch für dessen Running Mate, also den Vizepräsidentschaftskandidaten beziehungsweise die Kandidatin, die mit ihm im Tandem angetreten ist? Für Verwirrung würden auch hier Unterschiede in den einzelnen Bundesstaaten sorgen.

Szenario 4: Der Wahlsieger stirbt, nachdem das Electoral College den neuen Präsidenten gekürt hat, aber bevor das Ergebnis offiziell an den Kongress übermittelt wurde

Selbst in diesem Fall ist die Sachlage laut Experten nicht so einfach, wie sie auf den ersten Blick scheint. Die Washington Post weist in einer Analyse darauf hin, dass sich hier die Frage stellen würde, ob der Wahlsieger zu diesem Zeitpunkt bereits als gewählter Präsident (President-elect) gilt oder nicht. Das mag spitzfindig klingen, ist aber von entscheidender Bedeutung. Lautet die Antwort nämlich ja, dann wird der Running Mate des Verstorbenen, also der gewählte Vizepräsident, als Präsident angelobt. Geht man aber davon aus, dass die Bezeichnung President-elect in diesem Stadium noch nicht wasserdicht ist, so bleibt die Vorgangsweise unklar. Die Gerichte wären am Zug, was auch die Bedeutung des jüngsten Streits um die Besetzung des Supreme Court untermauert.

Szenario 5: Der Wahlsieger stirbt, nachdem der Kongress die Stimmen des Electoral College erhalten und ausgezählt hat, aber noch vor der Amtseinführung im Jänner

Erst an diesem Punkt lichten sich wieder die Nebel der juristischen Mehrdeutigkeit: Der gewählte Vizepräsident (Vice President-elect), wird Präsident. Dieser Fall würde sich also kaum vom Szenario unterscheiden, in dem ein Präsident während seiner Amtszeit stirbt: Auch hier rückt der Vizepräsident ins Oval Office nach. (Gerald Schubert, 2.10.2020)