Nach einem Vierteljahrhundert erklingt sie in neuem Glanz: die Orgel im Wiener Stephansdom.

Foto: Daniel Willinger

Wenn man den Stephansdom nicht aus Glaubensgründen kennt, sondern nur über den Umweg seines berühmten Dompfarrers aus den ORF-Seitenblicken, ist man über die Nachricht natürlich verwundert. Kommenden Sonntag wird nach über einem Vierteljahrhundert erstmals wieder Österreichs größtes Musikinstrument, die auf fünf Manualen bespielbare Orgel im Stephansdom, in voller Pracht erklingen.

So wird man in den Genuss des wahrhaft bombastischen Klanges eines Instruments kommen, das seine Kraft und Klangfülle aus tausenden Orgelpfeifen bezieht, die auf insgesamt 185 Register und 14 Windwerke verteilt worden sind. Die Musik der Orgel ist trotz heute längst elektrisch betriebener Blasebälge für die Pfeifen auf Luft gebaut. Das macht die Sache mit der Orgel so interessant. Der musikalische Mittelpunkt der christlichen Liturgie besteht sozusagen aus mehr oder weniger heißer Luft.

Über die Jahrhunderte wurde die Orgel an sich in ihren physischen Ausmaßen nicht nur immer größer konzipiert. Es ging auch optisch um die Manifestation von irdisch ausgelegter Macht, die man gern mit dem Segen des Himmelreichs legitimierte. Vor allem in Barockkirchen kostete die äußerliche Behübschung einer Kirchenorgel oft mehr als das Instrument selbst.

Toccata und Fuge

Mit dem Aufkommen der Kinos absolvierte die Orgel schließlich einen Siegeszug durch die Lichtspielstätten der Stummfilmzeit und hielt auch in den Konzertsälen, Sportstadien und Vergnügungsparks Einzug. Oftmals war sie dann schon zu einem elektronischen Ins trument mutiert. Im Gegensatz zur erbauenden Kirchenmusik hörte man in ihrer weltlichen Auslegung aber meist für den schnellen Genuss gedachten Tingeltangel.

Die Orgel wechselte recht schnell vom Gotteslob zur Lobpreisung des Bösen. Von diversen verrückten Organisten des Horrorgenres bis zu Andrew Llloyd Webbers The Phantom of the Opera oder Barbarella von 1968, in dem der Schurke die Welt mit der Lustorgel "Orgasmatron" vernichten will, war es ein weiter Weg.

Konstantin Reymaier - Topic

Die sakrale Würde und Gotter gebenheit in Johann Sebastian Bachs altem und in verschiedensten Zusammenhängen missbrauchten Gassenhauer Toccata und Fuge von Anfang des 18. Jahrhunderts ist auch Ausgangspunkt für die zur Orgelweihe erscheinende CD The New Organ at St. Stephen’s Cathedral, Vienna. Domorganist Konstantin Reymaier greift gleich einmal in die Vollen und schaut, was die Bass pfeifen in der Größe von Kontinentalraketen im Verein mit den schrillen kleineren Kollegen so hergeben. Symphonische Barockmusik mit der Betonung auf Rock.

Von hier spannt sich der Bogen über Edward Elgar aus dem romantischen Fach des 19. Jahrhunderts bis zu einem im Kirchenschiff gewagten Bolero von Louis Lefébure-Wély. Mit einem Medley aus dem Star Wars-Soundtrack von John Williams wird die christliche Heilsversprechung schließlich Richtung Popcornreligion georgelt. Wir hören die Titelmelodie oder auch eine als Toccata ohne Fuge gedeuteten Attacke von Darth Vader gegen das Gute im Universum. Die Riesenorgel als ein ganzes Orchester ersetzende Allzweckwaffe.

Aus dem letzten Loch

Speziell auch im musikalischen Grenzlandbereich der heutigen Zeit erfährt die Kirchenorgel in den letzten Jahren eine bemerkenswerte Beachtung. Das mag zum einen daherrühren, dass bei entsprechend unsachgemäßer Behandlung eine Orgel Töne erzeugt, die man sonst aus der elektronischen Szene kennt.

Die US-Künstlerin Kali Malone etwa erschüttert mit spezieller Mikrofonierungstechnik auf dem Album Sacrificial Code die aus dem letzten Loch pfeifenden Orgelpfeifen dort draußen, wo die Musik ausfranst und in die Dunkelheit kippt.

Ascetic House

Sarah Divachi hat auf ihrer neuen Arbeit Cantus, Descant ebenfalls diverse Kirchenorgeln dafür verwendet, um in dröhnenden Ambientkompositionen der Farbe Schwarz verstörende Nuancen abzugewinnen.

Late Music

Die schwedische Gothic-Tragödin Anna von Hausswolff schließlich verzichtet zwar auf ihrem neuen Album All Thoughts Fly auf den üblichen Trauergesang und hält sich auch auf ihrer Lieblingskirchenorgel in ihrer Heimatstadt Göteborg musikalisch vornehm zurück. Froh mag man in dieser sakral gehaltenen Lebensmüdigkeit aber auch nicht werden. Jugend ohne Gott, aber georgelt muss werden.

AnnavonHausswolff

In dieser Gesellschaft begeistert schließlich der Österreicher Stefan Fraunberger. Er spürt auf klapprigen, mechanisch beschädigten, asthmatischen und langsam verrottenden Kirchenorgeln in Rumänien in der Reihe Quellgeister #1 – #3 einer Frage nach: Wo liegt der Übergang zwischen der heiligen Kraft des Lebens und dem alles auslöschenden Vorschlaghammer des Todes? Mit aller Kraft klammern sich hier die Orgeln an ihr Dasein. Bewegend. Da könnte die Stephans-Orgel mildtätig ein paar ihrer Pfeifen abgeben.

Morphine Records

(Christian Schachinger, 2.10.2020)