Diese Kolumne sollte ursprünglich darlegen, wie Donald Trump die Wahl zu stehlen gedenkt. Beziehungsweise wie er die USA in eine Verfassungskrise und vielleicht in gewalttätige Auseinandersetzungen stoßen könnte, um irgendwie im Amt bleiben zu können.

Es gibt ernsthafte Hinweise darauf, dass die USA in einer schweren Demokratiekrise stecken, und zwar unabhängig davon, wie es jetzt nach Trumps Covid-Infektion weitergeht. Es wird jetzt auf das Immunsystem eines 74-jährigen Übergewichtigen ankommen. Aber wie immer auch dieses für die Welt immens wichtige Drama ausgeht, eines stand schon vorher fest: Die USA, wie wir sie lange kannten, wird es wohl nicht mehr lange geben. Was immer man über die USA denken mochte, welche dunklen Seiten man auch registrieren konnte, eines stand für Leute ohne antiamerikanischen Komplex immer fest: Die Vereinigten Staaten sind eine gefestigte Demokratie, eine Supermacht mit einem dynamischen Wirtschaftssystem, eine (pop)kulturelle Großmacht und für Europa eine fast unerlässliche Sicherheitsgarantie. Trotz aller unleugbaren Fehler und Verbrechen.

Ohne die USA wäre das monströse Nazi-Regime nicht niedergerungen worden (ja, die Sowjetunion zahlte einen gewaltigen Preis, aber allein hätte sie es nicht geschafft). Ohne die USA hätte Westeuropa nach dem Krieg nicht in Frieden und Wohlstand leben können. Ohne die USA wäre auch der Zusammenbruch des Sowjetreichs anders verlaufen.

Was dabei zuletzt zu wenig beachtet blieb, sind die strukturellen Schwächen der US-Gesellschaft, die Spaltung in zwei feindselige Lager – jene, die der weißen Vorherrschaft nachtrauern und die wachsende Zahl der Nichtweißen am Aufstieg hindern wollen. Das ist es, worum es Trump und seinen Anhängern letztlich geht. Die USA sind aber auch heute in weiten Bereichen dysfunktional: eine schießwütige, rassistische Polizei, auf die kein Verlass mehr ist. Ein Sozialsystem, das riesige Ungleichheiten produziert und Zustände, die kein europäischer Arbeiter mehr akzeptieren würde. Ein Wahlsystem, das längst nicht mehr der Zeit entspricht. Und Institutionen wie die Justiz, die unterwandert wurden.

Es gibt genügend Hinweise, dass Trump und die Republikaner bereits versuchen, die Wahl zu manipulieren.
Foto: AFP

Es ist nicht gesichert, dass es ein klares Wahlergebnis und eine reibungslose Machtübernahme geben wird. Das liegt zum Teil am längst obsoleten Wahlrecht, aber genauso am Willen von Trump und seiner inzwischen weitgehend rechtsautoritären republikanischen Partei, diese Situationen gnadenlos auszunutzen. Das klingt nur für Leute absurd, die sich mit dem Wesen von Trump und mit seinem Versuch, eine quasiautoritäre Herrschaft zu errichten, nicht auseinandergesetzt haben. Es gibt genügend überdeutliche Hinweise, dass Trump und die Republikaner bereits dabei sind/waren, die Wahl zu stehlen: durch systematische Unterdrückung von Stimmen der Minderheiten, durch Ungültigerklärung von Millionen Wahlkarten, durch Aufmunterung von rechtsradikalen bewaffneten Gruppen (Trump: "Haltet euch bereit"), um Leute vor den Wahllokalen einzuschüchtern beziehungsweise nach der Wahl mit gewalttätigen Unruhen den Ausnahmezustand zu provozieren. Vielleicht werden wir bald hören, dass man wegen Trumps Krankheit die Wahl verschieben solle.

Wenn eine Demokratie so weit heruntergekommen ist, dann ist nur kurzfristig etwas gewonnen, wenn Trump jetzt ausfallen und/oder eindeutig verlieren sollte. Dann stellt sich die Frage, was in den USA noch schiefgelaufen ist, wofür Trump nur ein Symptom darstellt.(Hans Rauscher, 3.10.2020)