Selten haben die 27 Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsstaaten der EU so auffällig vorgeführt, was der Rest der Welt von ihrer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik zu halten hat: Echte Einigkeit gibt es nur in Spurenelementen, von Entschlossenheit oder machtvollem Eingreifen bei Krisen und Kriegen in der Nachbarschaft keine Rede.

Menschenrechtsverletzer und Demokratieverächter selbst in engen EU-Partnerländern müssen kaum mit Konsequenzen aus Brüssel rechnen. Außer immer neu formulierten rhetorischen Beschwörungsformeln kommt nicht viel.

Auf dem EU-Gipfel zeigten die 27 Staats- und Regierungschefs, dass ihre gemeinsame Außenpolitik nicht mehr ernstzunehmen ist.
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Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel setzte die "Drohung" eines "konstruktiven Dialogs" mit der Türkei durch. Na bumm! Kein Wunder, wenn Präsident Recep Tayyip Erdoğan die EU offen verhöhnt: Die EU sei "ein einflussloses Gebilde", "ohne Weitblick". Er hätte wegen seines Umgangs mit Griechenland und Zypern eigentlich zur Räson gebracht werden sollen – so wie Belarus’ Präsident Alexander Lukaschenko wegen Wahlfälschung und Gewaltexzessen gegen Demonstranten.

Aber das funktioniert nicht. Wenn Regierungschefs zehn Stunden brauchen, um ihre internen Reibereien wegzukriegen, um dann Sanktionen gegen Belarus zu verkünden, die sie bei einem EU-Gipfel vor einem Monat schon einmal beschlossen haben, ist das nicht ernstzunehmen.

Neu ist das ja nicht. Seit einem Jahrzehnt weiß man, dass das Einstimmigkeitsprinzip, ständige Vetos einzelner (kleiner) Länder auf Egotrip den Auftritt der EU auf der Weltbühne lähmen. Das müsste endlich geändert werden. Bleibt die Frage, warum globale Unfähigkeit geradezu zelebriert, ein Gipfel mit Themen total überfrachtet wird. Besonders verrückt ist das, wenn das für die Bürger wichtigste Thema, die Corona-Pandemie und der Absturz der Wirtschaft mit allen Folgen, dann nur noch am Schluss – schnell, schnell – besprochen wird. (Thomas Mayer, 3.10.2020)