In den vergangenen Tagen protestierten immer wieder Menschen in Belarus – so auch eine Gruppe von Studenten Ende September.

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Minsk – Mehr als 100.000 Menschen haben bei einem großen Protestmarsch in Belarus (Weißrussland) für "Freiheit" und gegen Langzeit-Machthaber Alexander Lukaschenko teilgenommen. Die Polizei setzte Wasserwerfer gegen die Demonstranten ein, es gab auch eine Reihe von Festnahmen. Seit der umstrittenen Präsidentschaftswahl am 9. August gibt es jedes Wochenende Proteste gegen das Lukaschenko-Regime. "Die ganze Welt sieht: Die Belarussen wollen in Freiheit leben und nicht in einem Gefängnis", sagte die aus Angst ins Exil gegangene Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja am Sonntag.

Wie an den Sonntagen zuvor waren die Sicherheitskräfte mit einem massiven Aufgebot vor Ort, auch gepanzerte Fahrzeuge waren im Einsatz. Die Polizei schränkte zudem den Zugang zum mobilen Internet und den öffentlichen Nahverkehr ein, um den Zustrom von Demonstranten zu behindern. Nach Angaben einer Sprecherin des Innenministeriums kamen Wasserwerfer zum Einsatz und es gab Festnahmen, weitere Details wollte sie nicht nennen. Das Menschenrechtszentrum WESNA sprach am späten Nachmittag von weit mehr als 100 Festnahmen.

77 politische Gefangene

Im Vorfeld der Demonstration hatten die Organisatoren erklärt, der Protest am Sonntag sei diesmal "politischen Gefangenen" gewidmet. Sie riefen zu einem Marsch zum Okrestina-Gefängnis in Minsk auf, wo mehrere Teilnehmer früherer Kundgebungen inhaftiert sind. Die Demonstranten kommunizieren über den Oppositionskanal Nexta Live im Messenger-Dienst Telegram, der mittlerweile von über zwei Millionen Menschen abonniert wird.

Berichten von Nexta zufolge haben die belarussischen Behörden mehr als 250 Strafverfahren gegen Lukaschenkos Gegner, unter anderem Aktivisten und Blogger, eröffnet. "Die Behörden haben diese Menschen als Geiseln genommen", hieß es. "Wir haben sie nicht vergessen und fordern Freiheit für alle politischen Gefangenen!"

Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Wjasna gibt es inzwischen 77 politische Gefangene in Belarus. Im Vorfeld der Proteste vom Sonntag hatten die Behörden allen ausländischen Journalisten die Akkreditierung entzogen, was eine Berichterstattung über die Aktionen der Opposition zusätzlich erschwert.

EU-Sanktionen gegen 40 belarussische Beamte

Die jüngsten Demonstrationen erfolgen wenige Tage nach der Verhängung von Sanktionen durch EU und USA gegen Regierungs- und Behördenvertreter des Landes. Die EU belegte am Freitag rund 40 belarussische Beamte, darunter der Innenminister, seine Stellvertreter, Polizeibeamte, Richter und Leiter von Haftanstalten mit Reise- und Kontosperren.

Als Reaktion darauf gab Belarus bekannt, dass es eine eigene Liste an sanktionierten europäischen Beamten erstellt habe, ohne die Namen der Betroffenen preiszugeben. Gleichzeitig entzog das belarussische Außenministerium allen Auslandskorrespondenten am Freitag die Arbeitserlaubnis. Deshalb war eine unabhängige Berichterstattung über die Proteste nun das erste Mal kaum möglich.

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell kritisierte das Vorgehen der Regierung scharf. "Die EU unterstützt weiter das demokratische Recht des belarussischen Volkes, seinen Präsidenten durch neue freie und faire Wahlen zu bestimmen", erklärte er am Sonntag in Brüssel.

Seit der umstrittenen Präsidentschaftswahl am 9. August demonstrieren viele Belarussen jedes Wochenende zu Zehntausenden gegen den seit 26 Jahren regierenden Lukaschenko. Sie werfen ihm Wahlfälschung vor und fordern Neuwahlen. Nach ihrer Überzeugung war die inzwischen ins Exil geflohene Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja die wahre Siegerin der Wahl. Tichanowskaja sucht unterdessen den Kontakt zu westlichen Führungskräften wie dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Am Dienstag will sie in Berlin die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel treffen. (APA, 4.10.2020)