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Wie hoch der Schaden durch Corona-Maßnahmen für die Wirtschaft ist, steht oft viel zu spät fest.

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Plötzlich sperrten die meisten Geschäfte und Lokale zu, die Menschen isolierten sich so gut wie möglich zu Hause. Der Lockdown Mitte März hat die Ausbreitung des Coronavirus effektiv gebremst; der Schaden für die Wirtschaft wird erst nach und nach sichtbar. Denn im Gegensatz zum Corona-Dashboard, das die Öffentlichkeit täglich über das Infektionsgeschehen informiert, gibt es kein vergleichbares Barometer für die Wirtschaft.

"Wir wussten nicht, woran wir uns anhalten können", erinnert sich Richard Sellner, Ökonom am Institut für Höhere Studien (IHS). Erste Schätzungen sahen noch keinen so dramatischen Einbruch voraus, andere schossen bald mit pessimistischen Prognosen übers Ziel hinaus. Kein Wunder, denn Daten über das reale Wirtschaftsgeschehen gelangen erst mit Verzögerung an die Öffentlichkeit. Wie viel die heimische Industrie produziert, wird erst 55 Tage nach Monatsende bekannt. Wie sich der Außenhandel entwickelt, erfahren Interessierte mit einer Verzögerung von 70 Tagen.

Frühwarnsignale gesucht

In Krisenzeiten ist es für Entscheidungsträger besonders wichtig, möglichst schnell ein Bild vom Wirtschaftsgeschehen zu haben. Die Corona-Pandemie erhöhte den Druck, dem nachzukommen: "Dass wir Ökonomen uns so zeitnah mit dem realen Wirtschaftsgeschehen auseinandersetzen, ist ganz neu", sagt Sellner und betont, wie wenig Forschung in dem Bereich erst vorliegt. Weltweit versuchen Forscher gerade, den Puls der realen Wirtschaft zu messen. Zusammen mit seinem Kollegen Sebastian Koch hat Sellner nun erstmals ein öffentliches Dashboard für Österreichs Wirtschaft entwickelt, das zumindest wöchentlich das jüngste Geschehen abbildet. Es ist auf der IHS-Homepage zu finden.

Dabei setzen die Ökonomen zunächst auf drei Fragestellungen: Wo steht die Arbeitslosigkeit im Vergleich zur Vorwoche? Wie viel Strom wurde in ganz Österreich in den vergangenen sieben Tagen jeweils verbraucht? Und wie hat sich der Güterverkehr auf den heimischen Schienen über die letzte Woche verändert? Der Vorteil an dieser Auswahl: Die Daten kommen zeitnah herein, und sie werden nur selten revidiert. Zusammen ergeben sie den sogenannten IHS Economic High-Frequency Monitor.

Mittlerweile ist gewiss, dass die Wirtschaftsleistung im zweiten Quartal über 14 Prozent einbrach. Hätte man Mitte April einen Blick auf den neuen Monitor werfen können, wäre das Ausmaß des Schadens schnell ersichtlich gewesen: Der Stromverbrauch lag zehn Prozent unter dem Vorjahresniveau, die Arbeitslosenquote hatte ihren langjährigen Rekordwert von knapp 13 Prozent erreicht, und der Güterverkehr war um mehr als ein Viertel eingesackt. Hätte diese Erkenntnis etwas an der Pandemiebekämpfung geändert?

Dazu können sich Ökonomen nicht äußern, stellen beide IHS-Forscher klar. Aber: "Man hat mittlerweile dazugelernt und kann Maßnahmen zielgerichteter setzen", sagt Sellner. Daher würden trotz der gegenwärtigen Verschärfungen von Corona-Maßnahmen die Wirtschaftsindikatoren im Monitor nicht negativ ausschlagen. "Das erwarten wir eigentlich nur bei einem weiteren Lockdown", betont der Ökonom.

(Noch) keine Kristallkugel

Leider könne der Monitor noch nicht vorhersagen, wie sich die Wirtschaft weiterentwickle, sagt Koch. Noch sei die Datenauswahl zu sehr auf Industrie fokussiert. Was fehlt, sind gute Kennzahlen für die Gastronomie, den Tourismus oder den Handel. Dabei kämpfen die Forscher mit einem alten Problem in Österreich: Viele Daten sind vorhanden, aber nicht öffentlich.

Trotzdem erhoffen sich die Ökonomen schon jetzt einen gesellschaftlichen Nutzen von ihrem Tool. "Wir haben unser Augenmerk zu sehr auf das eine Dashboard mit den Viruszahlen gelegt", meint Koch. Mit dem neuen Monitor gibt es eine öffentlich zugängliche Möglichkeit, auch das aktuelle Wirtschaftsgeschehen schnell zu erfassen. Am besten wären mehrere solche Tools, die alle wichtigen Aspekte der Gesellschaft abbilden, findet Koch. Auch in Krisenzeiten gilt es, nicht den Blick aufs Ganze zu verlieren. (Leopold Stefan, 5.10.2020)