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Trumps Spazierfahrt.

Foto: Reuters

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Infiziert aber mit Maske: US-Präsident Trump bei seiner Ausfahrt.

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Was für ein Spektakel in Bethesda! Als Erstes riegelten Personenschützer des Secret Service, unterstützt von der Polizei, die Rockville Pike ab, eine Ausfallstraße mit drei Spuren in jeder Richtung, an der das weitläufige Gelände des Walter Reed National Military Medical Center liegt, des Krankenhauses, in dem Donald Trump behandelt wird. Dann tauchte ein Konvoi schwerer Geländewagen auf.

Im Schritttempo fuhr er vorbei an den Fans des Präsidenten, die seit Freitag mit Plakaten und Flaggen am Tor vor dem Klinikkomplex stehen, wendete und fuhr auf der anderen Straßenseite, wo die Fernsehsender ihre Kameras aufgebaut haben, wieder zurück. Auf dem Rücksitz eines der gepanzerten Chevrolet-SUVs saß tatsächlich Trump, vor Mund und Nase eine schwarze Stoffmaske, umgeben von Bodyguards, und winkte nicht nur seinen Anhängern zu, sondern auch den versammelten Journalisten.

US-Präsident Trump bei seiner Ausfahrt.

Per Video angekündigt

Den kurzen Ausflug am frühen Sonntagabend hatte er in einem Video angekündigt, das allerdings erst freigegeben wurde, als er ihn schon beendet hatte. Er habe eine kleine Überraschung parat für die "großartigen Patrioten" draußen am Tor. "Sie stehen schon lange dort, sie haben Trump-Flaggen, und sie lieben unser Land", sagte er, um als Nächstes auf seine typische, bombastische Art von der Begeisterung zu sprechen, die er spüre, "weil die Leute den Job lieben, den wir machen". "Bei uns gibt es mehr Enthusiasmus als vielleicht bei irgendwem sonst."

Übrigens, was mir aufgefallen ist, nachdem ich mich an zwei Tagen hintereinander für ein paar Stunden an der Rockville Pike aufgehalten habe: Zu den loyalsten Trump-Loyalisten scheint eine Gruppe von Uiguren zu gehören, die pausenlos himmelblaue Fahnen mit weißem Halbmond schwenkt. Dann wären da noch die "Sikhs for Trump", die "Muslims for Trump", die "Women for Trump", um nur einige zu nennen.

Ärzte sind entsetzt

Gleichwohl hagelte es nach dem Ausflug des Kranken heftige Kritik, unter anderem von einem Chirurgen namens James Phillips, der selbst im Walter Reed Center beschäftigt ist. Der Trip sei vollkommen überflüssig gewesen, das Risiko für die begleitenden Leibwächter unvertretbar hoch, wetterte der Mediziner in einem Tweet. Jeder, der mit Trump im Fahrzeug gesessen habe, müsse sich nun für zwei Wochen in Quarantäne begeben. "Die Leute könnten krank werden. Sie könnten sterben. Für politisches Theater. Von Trump angewiesen, ihr Leben für ein Schauspiel aufs Spiel zu setzen. Das ist Wahnsinn."

In einem Gespräch mit der "New York Times" sagte Phillips am Sonntagabend, es stelle sich die beunruhigende Frage, ob Trump seine Ärzte anweise. "Wo endet das Arzt-Patienten-Verhältnis und beginnt das Oberkommandierender-Untergebener-Verhältnis, und wurde diesen Ärzten befohlen, dies zu ermöglichen?", fragte Phillips und bemerkte, dass mit der Fahrt alle Behandlungsregeln verletzt worden seien. "Als ich das zuerst sah, dachte ich, vielleicht wird er in eine andere Klinik gebracht", sagte er weiter.

Historiker: Trump zeigte Schwäche

"Menschen für seinen eigenen Vorteil unnötig in Gefahr bringen. Eine durchgehende Linie seiner Präsidentschaft", befand der Historiker Julian Zelizer auf Twitter. Die Rundfahrt zeige eher Schwäche als Stärke. "Eine wirkliche Demonstration der Stärke ist es, ein wahres Verständnis für die Schwere der Pandemie zu zeigen", schrieb Zelizer.

Der Arzt und Wissenschafter Eric Topol sagte, es sei "absurd", dass die Ärzte diesen Rundtrip erlaubt hätten. Trotz des Optimismus der Mediziner habe man beim Coronavirus oft einen steilen Absturz des Zustands des Patienten sieben bis zehn Tage nach den ersten Symptomen erlebt. Optimismus könne verfrüht sein. Trumps Infektion war am Freitag (Ortszeit) bekannt gegeben worden. Er könnte noch ansteckend sein.

US-Medienberichten zufolge saß Trump mit zwei Mitarbeitern des Secret Service in dem gepanzerten Wagen, mit dem er an den Unterstützern vor dem Spital vorbeigefahren wurde. Auf Fotos war zu erkennen, dass der Beifahrer ein Plastikvisier über dem Gesicht, eine Atemschutzmaske und einen medizinischen Schutzanzug zu tragen schien. Trump trug lediglich eine Stoffmaske.

Mit Sauerstoff versorgt

In besagtem Video, wo Trump seine Spazierfahrt ankündigte, sprach der Präsident noch von einer "sehr interessanten Reise", auf die er sich begeben habe. Er habe viel über Covid-19 gelernt, er sei jetzt wirklich auf die Schule gegangen. "Das ist die reale Schule, es ist nicht die Lasst-uns-ein-Buch-lesen-Schule. Und ich begreife es, ich verstehe es, und es ist eine sehr interessante Sache, und ich werde Ihnen davon erzählen. In der Zwischenzeit lieben wir die USA, und uns gefällt, was passiert."

Was die Öffentlichkeit lernte, wovon sie erst am Sonntag erfuhr, war, dass Trump seit Freitag zweimal mit Sauerstoff versorgt werden musste, weil seine Sauerstoffwerte im Blut auf ein bedenklich niedriges Niveau gesunken waren. Außerdem teilte sein Leibarzt Sean Conley zum ersten Mal mit, dass ihm Dexamethason verabreicht wurde, ein Entzündungshemmer, der eigentlich nur in schweren Corona-Fällen zum Einsatz kommt. Dass Conley nur scheibchenweise mit der Wahrheit herausrückt, dass er wichtige Fakten zwei Tage lang verschwieg, trägt bei zu einer akuten Verunsicherung, an der auch Trumps demonstrativer Optimismus nichts ändert.

Geheimniskrämerei

Die Geheimniskrämerei nährte nur den Verdacht, ob zutreffend oder nicht, dass es schlimmer um den Patienten steht oder zumindest stand, als man offiziell zugeben wollte. Gespannt wartet man nun in Washington darauf, ob er tatsächlich am Montag, wie von seinen Ärzten in Aussicht gestellt, ins Weiße Haus entlassen wird. Dem Vernehmen nach hasst er Krankenhäuser, im Laufe seines Erwachsenenlebens soll er bis Freitag keine einzige Nacht in einer Klinik verbracht haben. Donald Trump könnte Druck gemacht haben, um schnellstmöglich in sein gewohntes Ambiente zurückzukehren. (Frank Herrmann aus Washington, APA, 5.10.2020)