Mudlarker suchen an der Küste der Themse in London am 4. August nach Gegenständen von historischem Interesse.

Foto: EPA/NEIL HALL

Mudlarking geht vermutlich auf das 18. und 19. Jahrhundert zurück, als Aasfresser an den Ufern der Themse nach Gegenständen zum Verkauf suchten.

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In Zusammenarbeit mit dem Museum of London zeichnen die Sammler ihre Funde auf. Jeder Gegenstand, der älter als 300 Jahre ist, muss aufgezeichnet werden.

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Heutzutage hoffen Geschichts- und Archäologiefans, alte Relikte wie Münzen, Keramik, Artefakte oder Alltagsgegenstände aus verschiedenen Jahrhunderten zu finden. Sie warten auf die Ebbe und durchsuchen dann bestimmte Bereiche exponierter Ufer.

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London – Hier die Scherbe eines römischen Gefäßes, dort eine jahrhundertealte Münze: Die Themse, die sich majestätisch durch London schlängelt, lädt aufmerksame Beobachter an ihren Ufern zu einer Zeitreise ein. Mudlarking heißt ein Trend in Großbritannien, der immer mehr Fans findet. Mitten in der Hauptstadt wird im Schlamm der Themse nach kleinen Schätzen gesucht – und das überaus erfolgreich.

"Die Themse hier war schon zu Zeiten der Römer der große Müllplatz. Was man nicht mehr brauchte, wurde in den Fluss geworfen", erklärt die Archäologin Vanessa Bunton von der gemeinnützigen Organisation Thames Explorer Trust bei einer Führung. Durch die Gezeiten werden regelmäßig die Abfälle der früheren Bewohner Londons vom Grund aufgewirbelt und ans Ufer gespült. Darunter sind beispielsweise Gegenstände aus dem Mittelalter und dem viktorianischen Zeitalter, als die industrielle Revolution schon ihre Folgen zeigte.

Viel geraucht, viel getrunken

Zu den häufigsten Fundstücken gehören Tonpfeifen, die vor hunderten Jahren – bereits mit Tabak gestopft – verkauft wurden. Nach dem Rauchen wurden sie weggeworfen; manche bezeichnen sie daher auch als Vorgänger der Zigaretten. "Der Tabak kam aus Amerika und war anfangs sehr teuer. Die Pfeifen waren daher zuerst ganz klein und wurden erst später größer", erklärt Bunton auf einer zweistündigen Führung in der Metropole. Manchmal sind komplette Pfeifen zu finden, Teile davon liegen in großen Mengen am Ufer. "Die Arbeiter an der Themse kürzten die langen Stiele, damit sie besser arbeiten konnten."

In den vergangenen Jahrhunderten sei nicht nur viel geraucht, sondern auch getrunken worden, schildert Bunton. "Das stammt von einer dunkelgrünen Weinflasche und ist etwa 300 bis 350 Jahre alt", sagt sie nach einem kurzen Blick auf eine der vielen Glasscherben am Ufer.

Menschliche Knochen

Schon werden der Expertin von Teilnehmern der von ihr geführten Tour weitere Fundstücke präsentiert, darunter etliche Knochen. Es handle sich um aufgebrochene Tierknochen, aus denen Menschen in früheren Zeiten das Mark herausgekratzt und gegessen hätten. Apropos Knochen: In der vergangenen Woche, so Bunton, habe eine Kollegin am Ufer den Knochen eines Menschen entdeckt. "Ihr Tag war gelaufen. Sie musste den Fund der Polizei melden und hat dort Stunden zugebracht."

Das Mudlarking unterliegt strengen Regeln. Aufgehoben werden darf nur, was mit bloßem Auge sichtbar ist. Graben ist verboten. Nur wer über eine Erlaubnis der Hafenbehörde verfügt, darf die Fundstücke behalten. Besonders Wertvolles muss aber immer dem Museum of London gemeldet werden. Experten wie Bunton bieten Laien Führungen in kleinen Gruppen an. Wer mitmachen will, braucht festes Schuhwerk und Einmalhandschuhe gegen Krankheitserreger im Wasser.

Römische Ruinen

Auch in der Umgebung der Themse, die früher breiter war, und ihrer teils unterirdischen Zuflüsse stoßen Experten auf Historisches. Vor allem bei Bauarbeiten kommt das römische Londinium zutage. So steht etwa die Europazentrale des US-Medienunternehmens Bloomberg auf römischen Ruinen. Bei den Ausgrabungen für das Gebäude im Finanzviertel sicherten Archäologen mehr als 14.000 Gegenstände wie lederne Schuhe und über 400 handbeschriebene Holztafeln, darunter einen knapp 2.000 Jahre alten Schuldschein. Rund 600 Fundstücke sind in einer Ausstellung im Gebäude zu sehen. Sie seien wegen der feucht-schlammigen Bodenverhältnisse "außerordentlich gut" erhalten, so die Expertin Sophie Jackson vom Museum of London Archaeology.

Von solchen Entdeckungen sind die meisten Mudlarker weit entfernt, doch Faszinierendes fördern auch sie zutage. Was ist für Archäologin Bunton der beste Fund, den sie bisher am Ufer gemacht hat? "Ein 500 Jahre alter Messergriff aus dem Knochen eines Kalbes", schwärmt sie. Das Mudlarking mache ihr auch deshalb Spaß, weil die Themse sich regeneriere. "Es gibt zum Beispiel wieder Seehunde." Die Zeit des "Großen Gestanks" sei längst vorbei. So nennen die Briten den heißen Sommer des Jahres 1858: Damals war der Gestank wegen der vielen Abwässer, die damals in den Fluss geleitet wurden, unerträglich.

Populäres Hobby

Entstanden ist das Mudlarking im 18. Jahrhundert, als arme Kinder am Ufer nach Strandgut wie Brennholz und Seilen suchten. Inzwischen ist es ein populäres Hobby, das durch eine Publikation nochmals einen Schub bekommen hat: Die Autorin Lara Maiklem hat mit ihrem Buch "Mudlarking" einen Besteller geschrieben, der bereits mehrfach in Großbritannien ausgezeichnet wurde. Seit 15 Jahren sucht sie im Themse-Schlamm nach Ungewöhnlichem: Ihre Fundstücke reichen von römischen Ringen bis zu einem 300 Jahre alten Schädel, den sie "Fred" nannte. Er werde jetzt von Forensikern untersucht, berichtete Maiklem. (APA, dpa, 6.10.2020)