Wenn Medikamente nur in von Krankheit betroffene Hirnarealen verabreicht werden, lassen sich unerwünschte Nebenwirkungen verhindern.

Illustr.: Archiv

Mediziner tüfteln schon lange daran, Medikamente gezielt an eine bestimmte Stelle im Körper zu dirigieren. Forscher der ETH-Zürich haben nun eine neue Methode entwickelt, die sich zumindest im Tierversuch äußerst erfolgreich zeigte: Mit Ultraschallwellen setzten sie Medikamente im Gehirn von Ratten zielgenau frei. Damit könnte es in Zukunft möglich werden, Psychopharmaka, Chemotherapeutika und andere Medikamente nur in jene Hirnregionen zu bringen, wo das aus medizinischen Gründen gewünscht ist.

Heute ist das in der Praxis noch nicht möglich: Medikamente gelangen über das Blut in das ganze Gehirn und den ganzen Körper, was in einigen Fällen die Ursache für Nebenwirkungen ist. Die neue Methode ist nicht- invasiv – die präzise Medikamentenfreisetzung im Gehirn wird von außerhalb des Kopfs mit Ultraschall gesteuert. Dies berichten die Wissenschafter unter der Leitung von Mehmet Fatih Yanik, Professor für Neurotechnologie, in der Fachzeitschrift "Nature Communications".

Fokussierter Ultraschall

Um zu verhindern, dass ein Wirkstoff seine Aktivität im ganzen Körper und im ganzen Gehirn entfalten kann, werden bei der neuen Methode spezielle Träger eingesetzt, die den Wirkstoff in kugelförmige Lipidbläschen einpacken, die an gashaltigen, ultraschall- empfindlichen Mikrobläschen befestigt sind. Diese werden ins Blut injiziert und gelangen so ins Gehirn.

In einem zweistufigen Prozess nutzen die Wissenschafter anschließend fokussierten Ultraschall. Fokussierter Ultraschall kommt bereits heute in der Krebsmedizin zum Einsatz, um Krebsgewebe an genau definierten Punkten im Gewebe zu zerstören. Bei der neuen Anwendung arbeiten die Forscher allerdings mit weit geringerer Energie, welche das Gewebe nicht schädigt.

Schema des zweistufigen Verfahrens zur Anreicherung und schließlich lokalen Freisetzung eingekapselter Wirkstoffe.
Illustr.: Ozdas et al. Nature Communications

In einem ersten Schritt reichern die Wissenschafter mit Ultraschallwellen niedriger Energie am gewünschten Ort im Gehirn die Wirkstoffträger an. "Man kann sich das so vorstellen, dass wir mit Ultraschallpulsen am gewünschten Ort eine Art virtuellen Schallwellen- Käfig erstellen. Von der Blutzirkulation angetrieben werden die Wirkstoffträger durch das ganze Gehirn gespült. Jene, die in den Käfig gelangen, finden dort aber nicht mehr hinaus", erklärt Yanik.

Im Tierversuch erfolgreich

In einem zweiten Schritt bringen die Forscher an diesem Ort die Wirkstoffträger mit höherer Ultraschall- Energie zum Vibrieren. Reibungskräfte zerstören die Außenmembran der Behälter, der Wirkstoff wird freigesetzt und an dieser Stelle vom Nervengewebe aufgenommen. Die Forscher haben die Wirksamkeit der neuen Methode in Versuchen bei Ratten gezeigt. Sie kapselten dazu einen Neurohemmstoff in den Wirkstoffträgern ein. Damit ist es ihnen gelungen, ein spezifisches neuronales Netzwerk zu blockieren, das zwei Hirnareale miteinander verbindet. Die Wissenschafter konnten in den Versuchen zeigen, dass nur spezifisch dieser eine Teil des Netzwerks blockiert wurde und das Medikament nicht im ganzen Gehirn wirkte.

"Weil wir mit unserer Methode Medikamente dort im Körper anreichern können, wo ihre Wirkung erwünscht ist, reicht eine sehr viel geringere Dosis aus", sagt Yanik. Für ihr Experiment in Ratten benötigten sie beispielsweise 1300- mal weniger Wirkstoff als es herkömmlicherweise nötig wäre. Schon früher haben andere Wissenschafter versucht, mit fokussiertem Ultraschall die Zufuhr von Medikamenten in bestimmte Hirnregionen zu verbessern.

Keine geschädigten Blutgefäße

In jenen Ansätzen wurden die Wirkstoffe jedoch nicht lokal angereichert, sondern man schädigte die Blutgefäße lokal, um damit den Wirkstofftransport vom Blut ins Nervengewebe zu erhöhen. Dieser Ansatz kann langfristig jedoch schädliche Folgen haben. "In unserem Ansatz bleibt die physiologische Barriere von Blutkreislauf und Nervengewebe hingegen intakt", sagt Yanik.

Die Wissenschafter sind zurzeit daran, die Wirksamkeit ihrer Methode in Tiermodellen psychischer Erkrankungen und neurologischer Störungen zu testen, zum Beispiel um Angststörungen zu behandeln, sowie zur Behandlung von Hirntumoren an chirurgisch unzugänglichen Stellen. Erst wenn sich die Wirksamkeit und Vorteile der Methode bei Tieren bestätigt, können die Forschenden den Einsatz der Methode bei Menschen vorantreiben. (red, 9. 10. 2020)