Die Attacken der FPÖ auf die Corona-Maßnahmen werden im Vorfeld der Wien-Wahl immer schriller.

Foto: Heribert Corn

Das Coronavirus endlich aus dem alltäglichen Leben verbannen – das wollen nach einem halben Jahr Pandemie wohl alle. Doch die FPÖ hat das scheinbar einfachste Konzept ersonnen, um diesem Willen zum Durchbruch zu verhelfen: Man könnte ja im öffentlichen Raum einfach so tun, als gäbe es die Pandemie gar nicht.

Was nach kindlichem Wunschdenken klingt, ist die von blauen Granden verkündete Strategie für Herbst und Winter. "Wir brauchen einen radikalen Kurswechsel", sagte der Linzer Gesundheitsstadtrat Michael Raml am Montag bei einem Auftritt mit FPÖ-Chef Norbert Hofer. Weder von der Maskenpflicht in Geschäften und Öffis noch von Abstandsgeboten, früheren Sperrstunden oder gar Registrierzetteln will man bei der FPÖ etwas wissen. Stattdessen solle der Staat ein "restriktionsfreies Leben ermöglichen", forderte Raml. Die Lockerung solle aber vor Altenheimen und Spitälern haltmachen, denn nur dort müsse man sich gegen Covid-19 wappnen.

Schrille Rhetorik

Angesichts solcher Wortmeldungen vergisst man fast, dass die FPÖ zu Jahresbeginn selbst die Schließung der Landesgrenzen samt Lockdown gefordert und dann im Parlament mit allen anderen Parteien das Covid-Gesetz beschlossen hat. Doch in den letzten Monaten versucht die Partei, immer tiefer ins Lager jener einzudringen, die die medizinische Evidenz für die Gesundheitsmaßnahmen bestreiten und dahinter eine elitäre Verschwörung zu entdecken glauben. Um bei dem wachsenden Kreis der Corona-Leugner Gehör zu finden, wird die blaue Rhetorik immer schriller: Heftete man sich im Sommer noch den Widerstand gegen den "Corona-Wahnsinn" auf die Fahnen, so warnte FPÖ-Chef Hofer im September vor einem dräuenden "Corona-Faschismus". Generalsekretär Michael Schnedlitz wiederum fühlt sich nach dem vergangenen Wochenende mit polizeilichen Sperrstundenkontrollen an "die dunkelste Zeit der DDR" erinnert.

In FPÖ-Wahlkampfzelten wird in kuscheliger Enge gefeiert, der Wiener Spitzenkandidat Dominik Nepp schüttelt demonstrativ Hand um Hand. Die Zahl der auf Corona positiv Getesteten will die FPÖ schlicht durch einen Teststopp bei asymptomatischen Personen reduzieren. Um sich bei Corona-Leugnern zu profilieren, greift die FPÖ gerne auf deren Galionsfiguren als "Experten" zu. Besonders angetan ist man vom steirischen Mediziner Peer Eifler, der hunderte "Atteste gegen den Maskenwahnsinn" ausgestellt hat, mit denen sich Kunden ohne Untersuchung für 20 Euro von der Maskenpflicht befreien lassen konnten. Jüngst wurde Eifler deshalb von der Ärztekammer die Lizenz entzogen. Die FPÖ ficht das nicht an, im Gegenteil: Gesundheitssprecher Gerhard Kaniak bezeichnete das Berufsverbot als "politisch motiviert" und wähnte einen Anschlag auf die Meinungsfreiheit.

Fischen in großem Reservoir

Unabhängig von der inhaltlichen Bewertung könne sich die Strategie der FPÖ rechnerisch durchaus rentieren, erklärt Politikwissenschafter Peter Filzmaier, denn: Auf Bundesebene stünden die Freiheitlichen in Umfragen bei rund 15 Prozent, in Wien werden für sie nur knapp über zehn Prozent erwartet. Dagegen sei das Reservoir an Corona-Verdrossenen, in dem die FPÖ nun fischen will, viel breiter, denn darin fänden sich längst "nicht nur Staatsumstürzler", analysiert Filzmaier.

Neben Hardcore-Pandemie-Leugnern zählen dazu genauso Impfskeptiker und überhaupt Krisenverängstigte aller Art. Dazu komme: Je länger das Virus grassiere, desto mehr steige die Zahl der Corona-Verunsicherten und Corona-Frustrierten, sagt der Politologe – also ergebe es für eine kleine Partei wie die FPÖ, auf die sie nun zusammengeschrumpft ist, absolut Sinn, dieses Segment anzusprechen.

Schlag nach bei Jörg Haider

Ein ähnliches Konzept habe einst FPÖ-Chef Jörg Haider verfolgt, als er sich der "Modernisierungsverlierer" annahm. Auch heute ginge es der FPÖ "um die subjektiven Verlierer", so der Experte, also um jene, die sich von der Politik völlig im Stich gelassen fühlen, denn Verlierer seien in der Pandemie eigentlich alle.

Und auch mit Warnungen vor einem zweiten Lockdown können Hofer und Co punkten, meint Filzmaier, denn: Wird das öffentliche Leben heruntergefahren, könne man sagen, die FPÖ habe es immer schon gewusst. Kommt doch kein Lockdown, wären die Kassandrarufe wohl ohnehin bald vergessen. (Theo Anders, Nina Weißensteiner, 6.10.2020)