Donald Trump mag der größte Lügner sein, der je im Weißen Haus gesessen ist. Aber eines muss man ihm lassen: Er ist durch und durch authentisch. Selbst im Angesicht einer lebensgefährlichen Krankheit bleibt der US-Präsident sich selbst treu.

Seit Trump ebenso wie Ehefrau Melania und ein weiteres Dutzend republikanischer Parteigänger vergangene Woche positiv auf das Coronavirus getestet wurde, verfolgt er im Grunde nur zwei Ziele: Er will der Welt ein Bild der Stärke, ja der Unverwundbarkeit präsentieren. Und er will beweisen, dass er mehr weiß als alle Experten rund um ihn. Waren das einst Klimaforscher oder Virologen, denen er seine geistige Überlegenheit demonstriert hat, sind es nun die behandelnden Ärzte in der Walter-Reed-Klinik, die ihm zu gehorchen haben. Eine schnelle Genesung ist unwesentlich, denn ernsthaft krank kann ein Donald Trump gar nicht sein.

Trump-Anhänger vor der Walter-Reed-Klinik.
Foto: EPA/MICHAEL REYNOLDS

Die Folge dieser Haltung ist ein Chaos, wie es Washington noch nie erlebt hat. Ein erkrankter US-Präsident ist immer ein Risikofaktor. Aber bei Trump kommt dazu, dass niemand weiß, wie es ihm wirklich geht, weil die Ärzte von Anfang an offensichtliche Falschmeldungen verbreitet haben. Als sie am Freitag von milden Symptomen sprachen, war Trumps Lunge in Wirklichkeit in einem kritischen Zustand.

Spritztour

Vielleicht hat er sich seither erholt und kann bedenkenlos ins Weiße Haus zurückkehren. Aber bei einem 74-jährigen übergewichtigen Mann wäre dies ein ungewöhnlicher Krankheitsverlauf. Die Medikamente, mit denen er behandelt wird, passen nicht zu diesem Bild und lassen nur zwei Erklärungen zu: Entweder leidet er doch unter einem sehr schweren Fall von Covid-19 – oder er ist sein eigener Arzt und verlangt nach jeder noch so fragwürdigen Therapie.

Trumps Spritztour zu seinen Fans vor dem Spital am Sonntagabend war ein doppelter Wahnsinn: Er gefährdete seinen Fahrer, den Sicherheitsmann und das Krankenhauspersonal, und er zeigte, dass ihm sein Image über seine Gesundheit geht. Der Mann hat ein Übermaß an Energie, aber das schützt nicht vor den Folgen des Virus. Und die Irrationalität, mit der Trump in diesen Tagen handelt, kann einen erschaudern lassen. Rücksicht auf andere hat Trump noch nie genommen. Bei seinem Auftritt bei einem Treffen mit Großspendern am Donnerstagabend hat Trump möglicherweise das Virus unter seinen treuesten Anhängern verbreitet.

Inzwischen schwinden Trumps Chancen auf seine Wiederwahl. Sein aggressiv-destruktiver Auftritt gegen Joe Biden bei der ersten TV-Debatte vergangene Woche hat den Rückstand in den Umfragen eher wachsen lassen. Das Wahlkampfteam ist gelähmt. Aber gerade diese Endzeitstimmung macht Trump besonders gefährlich. Genauso wie er Ärzten befehlen kann, ihren Berufseid durch Falschaussagen zu brechen, könnte er auch das US-Militär gegen seine Feinde im Ausland oder im Inland in Bewegung setzen. Twittern kann er wieder, das beweist Trump im Minutentakt. Aber die Zweifel an seiner Regierungsfähigkeit nehmen rasch zu.

Für solche Fälle gibt es den 25. Verfassungszusatz. Doch um den in Kraft zu setzen, müssten sich Trumps Minister und die Partei gegen seine Willkür zur Wehr setzen. Und darauf deutet derzeit noch nichts hin. Die Zeit bis zum 20. Jänner 2021, dem Tag der Angelobung eines neuen Präsidenten, ist noch lang – zu lang. (Eric Frey, 5.10.2020)