Im Gastkommentar plädiert der Künstler Martin Praska dafür, Ambivalenzen auszuhalten.

Anfang 2016 hatte ich ein Bild zur Flüchtlingskrise gemalt. Es war keine Absicht. Ist mir so passiert. Ganz unwillkürlich. Ich dachte an eine harmlose Landschaft. Herausgekommen ist Immigrants (Ambivalence). So der Titel. Zuerst war da die Silhouette einer Baum- und Strauchgruppe in dunklem Van-Dyke-Braun. In der Mitte ein heller Weg. Zu wenig für die Kunst. Also setzte ich kurzerhand zwei Birkenstämme davor. Sehr realistisch und plastisch gearbeitet als Kontrast zum flächigen Hintergrund. In schrillem Weiß und tiefem Schwarz, pastos und unverdünnt direkt aus den Farbtuben. Wie halt Birken so sind. Natürlich passten sie überhaupt nicht zu dem homogenen Blattwerk, in das sie gestellt wurden. Ich war zufrieden.

Wie das Bild nun heißen sollte? Bäume, die vorher nicht im Wald waren? Einwanderer. Reine Assoziation. Wer eine gefällige Interpretation braucht, dem kann ich gern dienen. Mach ich halt einen auf Konzeptkünstler. Als hätte ich mir vorher den Kopf darüber zerbrochen, was die Tagespolitik gerade so hergibt für die Kunst. Und nicht hinterher. Die Kuratorenzunft liebt das. Nun also: Mit den Migranten ist es nicht einfach. Einerseits runden sie das Bild ab, machen es bunter, vielfältiger. Andererseits tun sie das nur mittels Stilbruch und auf Kosten der Ruhe und Einmütigkeit. Eine Ambivalenz eben.

"Immigrants (Ambivalence)" von Martin Praska, 2016. Das Museum Angerlehner in Wels zeigt derzeit seine Werke.
Foto: Martin Praska

Die erste große Flüchtlingswelle war noch nicht abgeebbt, da betätigte ich mich bezüglich ihrer Folgen als Visionär. Soll man ja tun als Künstler. Zweifel anmelden. Widersprüchlichkeiten aufzeigen. (Propheten tun das Gegenteil.) Heute, gut vier Jahre später, sind wir wieder so weit. Die eine Hälfte der Gesellschaft zeigt sich selbstlos und möchte alle bei sich zu Hause aufnehmen aus dem abgebrannten Lager. Die andere Hälfte – darunter die Bundesregierung – will die Leute lieber draußen lassen. Und Hilfe vor Ort leisten. Wieder einmal stehen sich Gesinnungsethik und Verantwortungsethik gegenüber. Und giften sich an. Der Gesinnungsethiker beruft sich auf sein Herz, der andere auf sein Hirn. Man muss die Menschen retten, sagt der eine. Und Punkt, aus, basta. Der andere sieht es etwas differenzierter. Mit Blick auf Afrika und Umgebung.

Irritationen und Ideologie

Im Jahr 2015 habe ich mich mit der besseren Österreich-Hälfte solidarisiert und bin gegen die skandalösen Zustände in Traiskirchen und gegen den geschlossenen Grenzzaun auf die Straße gegangen. Aber schon damals war ich irritiert. Linke Demonstranten hießen "Refugees und Muslime willkommen!" – Warum das denn? Katholiken wollen sie nicht, dafür Muslime? Ich habe meine Probleme mit den Religionen. Sie sind Aberglauben und Gehirnwäsche. Eine wie die andere. Und die islamische Gehirnwäsche zählt, das wussten wir spätestens seit Salman Rushdie, seit 9/11 und seit Charlie Hebdo, zu den eher gefährlicheren. Sei’s drum, ich fuhr zum Westbahnhof mit einem Einkauf an Hygieneartikeln und ein paar alten Anoraks. Können die armen Leute ja brauchen. Frauen und Kinder. Noch mehr die vielen jungen Männer. Wesentlich mehr Männer als Frauen und Kinder. Ist das sonst niemandem aufgefallen? Männer sind Abenteurer. Sie bestehen aus Testosteron, aus Patriarchat, aus Korpsgeist … und aus Ideologie. Mit einem Wort, sie sind toxisch. Wissen wir vom zeitgeistigen Feminismus. Von ihrer Ideologie kann man nicht reden, ohne im Islamophobie-Report auf die schwarze Liste gesetzt zu werden. Die anderen giftigen Bestandteile finden sich – wie es heißt – auch am Oktoberfest.

Salbungsvolle Worte

In der Zwischenzeit ist viel passiert in Europa. Islamistische Anschläge, antisemitische Ausfälle, Messerattacken, Vergewaltigungen, eher destruktive Partyszenen usw., usw. – Und im gemütlichen Österreich? "Sexuelle Übergriffe von Asylwerbern. Die Bilanz fällt erdrückend aus", schlagzeilt nicht etwa die Kronen Zeitung. Nein, es ist DER STANDARD. Das Lager Moria auf der griechischen Insel Lesbos wurde abgefackelt, die Feuerwehr mit Steinen beworfen. Von Flüchtlingen. Die Hilfsorganisation Seawatch feiert das als heroische Tat. Das Fernsehen indes zeigt weinende Kinder. Der Bundespräsident findet salbungsvolle Worte der Mitmenschlichkeit. Wir befinden uns mitten in einem Propagandakrieg. Auf welcher Seite stehen wir? Auf der guten oder auf der bösen? Grenze auf oder Grenze zu?

Alles nicht so schwarz-weiß hier! Eine Ambivalenz heißt nicht "entweder-oder" sondern "sowohl-als-auch". Was ist, wenn beide Seiten recht haben? Undenkbar? Opfer- und Täter-sein gleichzeitig? Flüchtling und Eroberer? Mensch und Dschihadist? Das stinkreiche Saudi-Arabien nimmt keine muslimischen Flüchtlinge auf. Viel lieber baut es salafistische Moscheen für sie in den Gastländern.

Um Widersprüche und Ambivalenzen aushalten zu lernen, sollten wir uns mehr mit Kunst befassen und weniger davon canceln. Auch wenn sie uns widerspricht. (Martin Praska, 6.10.2020)