Bischkek – Nach massiven Protesten gegen die umstrittene Parlamentswahl hat die Wahlkommission im zentralasiatischen Staat Kirgisistan die Abstimmung für ungültig erklärt. Das teilte die Kommission am Dienstag Agenturen zufolge in der Hauptstadt Bischkek mit. Grund seien die massiven Manipulationen bei der Wahl am Sonntag und die darauffolgenden Spannungen in der Ex-Sowjetrepublik. Bei Ausschreitungen waren zuvor eine Person getötet und rund 600 verletzt worden.

Parlament gestürmt

In der Nacht hatten zahlreiche Menschen das Parlamentsgebäude gestürmt. Sie befreiten zudem mehrere Politiker aus dem Gefängnis, darunter den wegen Korruption inhaftierten Ex-Präsidenten Almasbek Atambajew und Oppositionelle. Präsident Sooronbai Dscheenbekow warf der Opposition den Versuch einer illegalen Machtergreifung vor.

Rund 3,5 Millionen Wähler hatten in dem Hochgebirgsland an der Grenze zu China am Sonntag über ein neues Parlament abgestimmt. Der Wahlkommission zufolge lagen zwei regierungsnahe Parteien vorn. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) sprach von Unregelmäßigkeiten, Stimmen sollen gekauft worden seien.

Proteste in Bischkek.
Foto: EPA/IGOR KOVALENKO

Präsident: Lage unter Kontrolle

Präsident Dscheenbekow hatte alle Kräfte zur Vernunft aufgerufen. Die russische Nachrichtenagentur Ria meldete unter Berufung auf eine Sprecherin des Präsidenten, dieser halte sich in Bischkek auf. Später gab Dscheenbekow eine Erklärung ab, wonach er die Lage unter Kontrolle habe. Der Staatschef "kontrolliert die Situation und drückt sein Vertrauen aus, dass alle politischen Kräfte das Interesse des Landes über ihr eigenes stellen werden", hieß es in einer vom Präsidialamt veröffentlichten Erklärung. Er habe Anweisung erteilt, nicht auf die Demonstranten zu schießen und "kein Blut zu vergießen".

Er habe zudem die Wahlkommission angewiesen, mögliche Unregelmäßigkeiten bei der Parlamentswahl "sorgfältig zu überprüfen" und das Wahlergebnis "wenn nötig" zu annullieren – was nun passiert ist.

Rückschritte

Kirgisistan ist nach den Revolutionen der Vergangenheit heute eine parlamentarisch-präsidiale Republik. Nach dem Sturz von Präsident Kurmanbek Bakijew 2010 hatte die demokratische Politikerin Rosa Otunbajewa die Führung übernommen. Sie war die erste Frau an der Spitze und setzte in der bis dahin von autoritären Staatschefs geprägten Region beispiellose demokratische Reformen durch. Gestärkt wurde dabei auch die Rolle des Parlaments.

In dem stark von politischen Clanstrukturen geprägten Land gab es zuletzt nach Meinung von Menschenrechtlern wieder Rückschritte. Bereits 2005 musste nach Vorwürfen der Wahlfälschung Präsident Askar Akajew das Land verlassen. In dem völlig verarmten Staat, in dem Russland nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion vor 30 Jahren bis heute Einfluss hat, kommt es immer wieder zu Ausbrüchen von Gewalt. (APA, Reuters, red, 6.10.2020)