Die Probandin Nummer acht träumt vom Turnen in der Gruppe, vom Umkleideraum und von "erotischen Dessous", die sie trägt. Damit steht sie nicht alleine da: acht von 15 Probandinnen und Probanden berichten von ähnlich erquicklichen Fantasien. Der Volksmund hätte dafür ein Sprichwort parat. Die Damen und Herren hat vermutlich "der Hafer gestochen" und er liegt damit nicht einmal ganz falsch. Allerdings war es nicht der Hafer, sondern der Reis, der unseren Probandinnen und Probanden süße Träume beschert hat. Das alles steht im Protokoll der "Arzneimittelprüfung Reisblüte (Flora Oryzea)." Der Prüfbericht vermerkt: "Auch das durchgehend in den Träumen aufgetauchte Thema der Sexualität und Erotik lässt sich gut mit dem Thema der Pflanzenblüte in Verbindung bringen. Hier wäre es interessant das Thema mit anderen Blütenarzeneimittelprüfungen [sic!] zu vergleichen (Lilien)." 

Zu heiß geföhnt - wegen der Reisblüte 

Sieben Seiten lang ist der homöopathische Prüfbericht zur Reisblüte, die Beschwerden, Themen und Träume der Probanden sind mannigfach und das spricht dafür, dass die stark verdünnte Reisblüte ein tolles Arzneimittel sein muss. Denn die Probanden waren allesamt kerngesund, und in der Schubumkehrlogik der Homöopathie heilt eine Substanz beim Kranken just jene Beschwerden, die sie bei einem Gesunden hervorruft. Und das wären in diesem Fall gut 100 somatische Beschwerdebilder: von geschwollenen Unterlidern über Durchfall, Schafskot, Schwellungen des Knöchels, Herzstolpern und dem Verlangen nach Saurem bis zu einem eingeklemmtem Ischias-Nerv. Aber auch die "Gemütsebene" wird beachtet in der Zeit der Arzneimittelprüfung. Und da hatte Proband Nummer zwei Pech: Er fuhr nicht nur die Rückspiegel des Autos ab, er föhnte sich auch zu heiß unter dem Einfluss der zur Potenz C30 verdünnten Reisblüte. Fassen wir zusammen: Das Homöopathika "Reisblüte" sediert uns, wenn wir trotz Ischiasschmerzen erotische Turnsaalfantasien haben und hilft all jenen, die Probleme beim Einparken haben.

C30 bedeutet übrigens eine Verdünnung, die einem Fingerhut einer Substanz in einer Kugel mit einem Durchmesser von 150 Millionen Kilometern entspricht. Die Nadel im Heuhaufen ist nichts dagegen.

Was die Essenzen alles können ...
foto: AP Photo/Manish Swarup

Die Wildgänse kommen

Beim Arzneimittel "Wildgans", der sich eine sechsköpfige Gruppe Hamburger Homöopathen im Dienste der Wissenschaft ausgesetzt hat, finden wir ganz ähnliche körperliche Symptome wie bei der Reisblüte, Pickel am Po bei einer Probandin kommen hinzu. In der Gemütsbeobachtung erwischt es einen Wildgans-Probanden heftig. Er träumt von Erdbeben, "die ganze Erde wackelt", bei einer Vorlesung "spuckt er gelben Schleim in ein Tuch", aber es gibt auch Erfreuliches zu berichten unter dem Einfluss der Wildgans-Medikation: "Freunde laden mich zu Kaffee und Kuchen zu ganz viel Schlagsahne ein." Das Homöopathikum aus verdünnter und verschüttelter "Wildgans" - so schließen wir als mittlerweile fortgeschrittene Arzneimittelprüfungs-Interpretierer scharf - muss demzufolge bei starkem Verlangen nach Sachertorte mit Schlag indiziert sein.   

Red Bull in C30 verleiht auch Flügel

Laufen Arzneimittelprüfungen immer ganz ohne Interessenskonflikte mit diversen Substanzherstellern ab? Gelingt die Verblindung wirklich lückenlos? Wir werfen einen Blick auf das Protokoll "Doppelblind-Studie Original-Red-Bull potenziert bis auf C30." Es listet Symptome von einer entzündeten Achillesferse über stark riechenden Urin, "Pickel im Decolleté" bis zum "Gefühl, Flügel zu haben" auf. Das Papier zitiert eine Probandin mit sehr eindrücklichen Erlebnissen: "Sie wurde während der ganzen Zeitdauer einfach nicht mehr müde. Sie ging spät schlafen und war morgens bereits um 4.30 Uhr wieder aufgestanden. Sie berichtete von einer unglaublich erhöhten Leistungsfähigkeit mit klarem
Kopf, keine Müdigkeitssymptome tagsüber, fit ohne hässig zu werden. Ist viel belastbarer und erledigt mehrere Dinge gleichzeitig."

Willkommen im Mittelalter

An dieser Stelle darf angemerkt werden: Die Homöopathie ist im österreichischen Gesundheitswesen anerkannt, die Ärztekammer vergibt ein Diplom in dem Fach mit dem Ziel: "Erlernen der Indikation für eine homöopathische Therapie und deren Durchführung nach den Regeln der Homöopathie." Die Ausbildung inkludiert das Studium von 120 Arzneimittelbildern. Das österreichische Gesundheitsministerium listet Homöopathie als komplementämedizinische Methode, für die ein "ganzheitlicher Ansatz in Diagnose und Behandlung zentral ist." Wir sehen, es gibt noch viel zu tun. Das klingt ein wenig zermürbend, dafür haben wir nicht mehr weit auf dem Weg ins Mittelalter. (Christian Kreil, 8.10.2010   

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