Pauschale Vorratsdatenspeicherung befindet der EuGH für nicht zulässig.

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Eine flächendeckende und pauschale Speicherung von Internet- und Telefon-Verbindungsdaten ist laut dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) nicht zulässig. Ausnahmen seien nur möglich, wenn es um die Bekämpfung schwerer Kriminalität oder den konkreten Fall einer Bedrohung der nationalen Sicherheit gehe, teilte der EuGH in einem Urteil am Dienstag mit. Die Luxemburger Richter stärkten damit die Bürgerrechte – zugleich können aber auch Befürworter der Vorratsdatenspeicherung hoffen.

Seit Jahren gibt es in mehreren EU-Ländern Streit um das Thema zwischen Sicherheitsbehörden und -politikern auf der einen sowie Bürgerrechtlern und Verbraucherschützern auf der anderen Seite. Die Befürworter argumentieren, zum Schutz der nationalen Sicherheit und im Kampf gegen schwere Verbrechen müssten Ermittler die Möglichkeit haben, auf gespeicherte Telekommunikationsdaten zuzugreifen. Dagegen fürchten die Kritiker starke Eingriffe in die Grundrechte, wenn die Unternehmen massenhaft Verbindungsdaten ihrer Kunden sichern müssen – ohne dass es bereits einen konkreten Tatverdacht gibt.

VfGH kippte Vorratsdaten in Österreich schon 2014

Das höchste europäische Gericht bezog sich mit seiner Entscheidung im Kern auf Fälle aus Frankreich, Belgien und Großbritannien, in denen die nationalen Gerichte ihre Kollegen aus Luxemburg um eine Einschätzung gebeten hatten. Es geht um die Frage, ob einzelne EU-Staaten den Betreibern elektronischer Kommunikationsdienste allgemeine Pflichten zur Datenspeicherung auferlegen dürfen.

Die flächendeckende Vorratsdatenspeicherung haben die Höchstgerichte in Österreich 2014 gekippt. Stattdessen hat die Staatsanwaltschaft nun das Recht, die Telekombetreiber zur Speicherung der Daten einzelner Kunden zu verpflichten ("Anlassdatenspeicherung" oder "Quick-Freeze"). Gespeichert wird u.a. wer mit wem telefoniert und wo er sich dabei aufhält. Obwohl Vorratsdaten laut EU-Recht nur zur Aufklärung schwerer Straftaten verwendet werden dürfen, ist die Anlassdatenspeicherung bereits ab einem drohenden Strafrahmen von sechs Monaten erlaubt. Außerdem ist sie bis zu zwölf Monate lang zulässig – bei der Vorratsdatenspeicherung waren es nur sechs Monate.

Reaktionen

Der Verband der österreichischen Provider, Ispa, zeigte sich erfreut über den Richterspruch. Man begrüßt nicht nur das Verbot pauschaler Datensammlung sondern auch die enge Setzung des Spielraums für Ausnahmen durch detaillierte Erläuterungen. Zudem stellt man die Sinnhaftigkeit des Instruments auch allgemein infrage: "Die Nadel ist nicht leichter zu finden, wenn man den Heuhaufen vergrößert. Die Behörden brauchen mehr technisches Know-how und mehr Ressourcen, um zeitgerecht die vorhandenen Daten abzufragen und rasch auszuwerten."

Auch Neos sind mit dem Urteil sehr zufrieden. Datenschutzsprecher Niki Scherak sieht darin "ein klares Zeichen gegen die Überwachungsfantasien einiger europäischer Regierungen. (...) Privatsphäre und die Grundrechte dürfen nicht leichtfertig am Altar vermeintlicher Sicherheit geopfert werden."

Bettina Vollath, SPÖ-Europaabgeordnete und Mitglied im Ausschuss für bürgerliche Freiheiten im EU-Parlament, erklärt gegenüber dem STANDARD: "Vorratsdatenspeicherung ohne Anlass ist grundrechtswidrig – das hat heute ein weiteres Mal der Europäische Gerichtshof bestätigt und somit Grundrechte und Datenschutz in der EU gestärkt. Die Menschen in Europa haben ein Recht auf ein Leben ohne systematische Überwachung. Ausnahmen müssen auf die Bekämpfung schwerer Kriminalität beschränkt bleiben, wie es auch der EuGH betont."

Die Datenschutz-NGO Epicenter Works ist grundsätzlich erfreut über das Urteil. Vor allem begrüßt man das grundsätzliche Verbot anlassloser Überwachung. Kritisch betrachtet man jedoch die Schaffung Ausnahmen. Hier sieht man die dafür formulierten Bedingungen als "zu unklar" an. Die schwere eines solchen Eingriffes , der alle betrifft und ein Gefühl der dauerhaften Überwachung schafft, sei nicht ausreichend berücksichtigt worden.

"Mit dieser Entscheidung bleibt die EU ihrer strengen, datenschutzfreundlichen Linie treu und bekräftigt ein weiteres Mal, dass die anlasslose Speicherung von Daten gegen Grundrechte verstößt", sagt Süleyman Zorba, netzpolitischer Sprecher der Grünen. Als Partei sei man pauschaler Datensammlung "seit je her" kritisch gegenüber gestanden. Es sei ein "guter Tag für den europäischen Datenschutz."

Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) erklärte: "Das Urteil der Luxemburger Richter stützt die Bürgerrechte ganz grundsätzlich und hier insbesondere den Quellenschutz im Rahmen der Presse- und Rundfunkfreiheit." Zugleich warnte der Verband zusammen mit dem Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger sowie dem Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ): "Freiheit und das berechtigte Verlangen nach Sicherheit stehen immer in einem Spannungsverhältnis". Umso mehr müsse darauf geachtet werden, "dass Ausnahmen auch wirklich die Ausnahme bleiben".

Der FPÖ-Europaabgeordnete Roman Haider sagt: Wir sprechen uns zwar gegen eine Vorratsdatenspeicherung von unbescholtenen Bürgern aus, würden aber begrüßen, wenn vorhandene Datensätze schnell und effektiv zur Prävention und Aufklärung von schweren Straftaten, terroristischen Bedrohungen und illegaler Migration eingesetzt würden". Lukas Mandl, Sicherheitssprecher der ÖVP im Europaparlament, sagt: "Im Gegensatz zu anderen Teilen der Welt, wo die staatliche Überwachung zum Teil alle Grenzen überschreitet, gibt es in Europa klare Regeln, die der EuGH erneut präzisiert hat." Aus dem Urteil ergebe sich kein kein unmittelbarer politischer Handlungsbedarf.

(APA, Reuters, muz, gpi, 6.10.2020)