Regisseurin Lotte de Beer will behutsam erneuern.

Foto: Philipp Ottendoerfer

Eine gewisse Überraschung ist es dann doch geworden: Die niederländische Regisseurin Lotte de Beer (Jahrgang 1981) folgt Robert Meyer mit der Saison 2022/23 an der Spitze der Volksoper nach. Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer (Grüne) gab sich überzeugt optimistisch, "dass in sieben Jahren – am Ende ihrer ersten Amtszeit – die Wiener Lotte de Beer in ihr Herz geschlossen haben werden".

Mayer zeigte sich auch von den "fein nuancierten, aber kraftvollen Inszenierungen" von de Beer beeindruckt. Manche davon waren übrigens im Theater an der Wien zu erleben. Mayer betonte auch die gute Performance der designierten Operndirektorin bei den Bewerbungsgesprächen. Sowohl "ihre Ausstrahlung" als auch ihre "Überzeugungskraft" seien "ansteckend" gewesen. Dass sich Lotte de Beer an der Volksoper verstärkt der Operette widmen wolle, habe Mayer ebenfalls gefreut.

Eine Regie pro Saison

Lotte de Beer selbst ist sich abseits solch unvermeidlicher Selbstverständlichkeiten bewusst, dass sie im Musikbereich personelle Schwerpunkte setzen muss. Sie wird sich also nach einem Musikchef für die Volksoper umsehen, der bis dato fehlte. Was ihre Arbeit als Regisseurin anbelangt, betonte sie, maximal eine Produktion pro Saison selbst inszenieren zu wollen.

Ästhetisch müssen keine brutalen Brüche befürchtet werden: Wenn die Zeiten gut sind, könne Kunst aufrütteln und durchschütteln, so de Beer. Wenn es dunkel würde, könne Unterhaltung das Passende sein. "Wenn sich die Zeiten ändern, ändert sich also auch die Art der Kunst, die die Menschen brauchen."

Gegenwärtig sei es ihrer Meinung nach opportun, "von der Poesie umarmt zu werden". Kunst müsse ein Ort werden, "wo man gleichzeitig berührt und entertaint werden kann". Dabei gehe es ihr also nicht um Zerstörung bestehender Traditionen. "Statt Dekonstruktion und Schockieren will ich künstlerisch bezaubern", so de Beer. Die große Idee helfe wenig, wenn das Publikum wegbleibe. Grundsätzlich wolle sie den Widerspruch zwischen "hoher Kunst" und Unterhaltung als obsolet demaskieren. "Ich bin fest davon überzeugt, dass die Volksoper – das Opernhaus für das Volk – mit ihrer Vielseitigkeit die ideale Bühne in diesen turbulenten Zeiten ist."

"Hurra, ein Problem!"

Ihr Bestreben würde es folglich sein, auf die "Wienerinnen und Wiener zuzugehen, Brücken zwischen Innovation und Tradition zu bauen" und mit ihrer Arbeit an der Volksoper "gleichzeitig auch die Welt zu inspirieren".

Ihr frischer Enthusiasmus war bei der Präsentation auch durch Fragen nach den sich womöglich eintrübenden finanziellen Rahmenbedingungen nicht zu bremsen. Würden sich in diesem Punkt hinkünftig Baustellen auftun, würde de Beer "Hurra, ein Problem!" rufen und an die Lösung der Probleme gehen. "In Österreich ist es so toll, dass alle der Meinung sind, dass Kunst genau jetzt wichtig ist und es dafür auch Geld geben muss. Und dafür werde ich kämpfen."

Wie auch immer es kommen mag, wenn die Realität einmal ihren ernüchternden Besuch abstattet: Lotte de Beer, die ihre Ausbildung in Maastricht begann, wo sie zunächst Gesang und Klavier und später Schauspiel studierte, will sich auf die Suche nach neuem Publikum begeben. Ihre Diagnose: "Einen großen Teil der Jungen haben wir verloren." Auch deshalb sei es Zeit für sie, "Verantwortung zu übernehmen", obwohl sie mit der Existenz als freie Regisseurin glücklich sei. (Lubisa Tosic, 6.10.2020)