Swetlana Tichanowskaja ist die Galionsfigur der belarussischen Opposition.

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Berlin/Minsk –Die belarussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja hat am Dienstag die deutsche Kanzlerin Angela Merkel in Berlin getroffen. Bei dem 45-minütigen Gespräch habe sie abermals betont, dass die seit Wochen andauernden Proteste in Belarus (Weißrussland) kein "Kampf gegen Russland oder Europa" seien, sondern eine Folge der Krise in der Ex-Sowjetrepublik selbst, schrieb die Bürgerrechtlerin im Nachrichtenkanal Telegram.

Seit der umstrittenen Präsidentenwahl Anfang August gehen die Menschen regelmäßig gegen Staatschef Alexander Lukaschenko auf die Straße. Es gab bereits Tausende Festnahmen und viele Verletzte.

Warb um Investitionen

Die friedlichen Kundgebungen würden fortgesetzt, sagte Tichanowskaja nach der Unterredung mit Merkel. Nach wie vor säßen viele bekannte Oppositionelle im Gefängnis. Die 38-Jährige erwähnte dabei etwa ihren Ehemann Sergej Tichanowski, an dessen Stelle sie bei der Wahl angetreten war. Zugleich warb sie für Unterstützung bei Investitionen in Belarus – auch für unabhängige Medien und Zivilorganisationen, "um die Folgen der Krise zu überwinden".

Die Bürgerrechtlerin überreichte Merkel nach eigenen Angaben einen weiß-rot-weißen Regenschirm – die Farben der Revolution in Belarus. Bei den Demonstrationen in Belarus werden immer wieder weiß-rot-weiße Fahnen als Zeichen des Protests geschwenkt.

Treffen mit Parteien geplant

Deutschland habe schon viel unternommen, sagte die Oppositionelle im Vorfeld des Treffens. Sie sei dankbar, dass die EU Sanktionen gegen Personen aus dem Umfeld Lukaschenkos verhängt habe. "Das ist ein Sieg, aber es ist ein kleiner Sieg. Die Liste muss erweitert werden", sagte Tichanowskaja.

Am Nachmittag war zudem ein Treffen mit Vertretern der Grünen geplant, unter anderem mit Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt und den Parteivorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck. Auch ein Gespräch mit CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt waren angekündigt. Am Mittwoch steht ein Treffen mit Außenminister Heiko Maas (SPD) auf dem Programm.

Die Grünen fordern von der Bundesregierung mehr Unterstützung für die belarussische Opposition. "Wir wollen, dass Deutschland, ähnlich wie bereits Polen und Litauen, mehr macht, um diesen Menschen vor Ort und im Exil konkret zu helfen", sagte Manuel Sarrazin, osteuropapolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag, der "Süddeutschen Zeitung" vom Dienstag.

Deutschland erkennt Wahl nicht an

Als eine der Anführerinnen gilt Tichanowskaja der Demokratiebewegung als wahre Wahlsiegerin. Die 38-Jährige war bei der Präsidentenwahl am 9. August gegen Lukaschenko angetreten, der nach 26 Jahren an der Macht den Sieg mit 80 Prozent der Stimmen für sich beansprucht.

Deutschland erkennt Lukaschenko wie andere EU-Staaten nicht als Staatschef an. Lukaschenko hatte sich aber die finanzielle Unterstützung des Nachbarn Russland gesichert und sich mit Präsident Wladimir Putin getroffen. Tichanowskaja betonte, dass sie mit Putin sprechen wolle. "Ich will verstehen, warum er Lukaschenko unterstützt."

Die Demokratiebewegung fordert den Rücktritt des Staatschefs sowie die Freilassung aller politischen Gefangenen und Neuwahlen. Gegen Lukaschenko gibt es in der Hauptstadt Minsk und anderen Städten seit Wochen Proteste.

Tichanowskaja musste nach der Wahl auf Druck der Behörden Belarus verlassen. Seitdem lebt sie in Litauen und trifft sich regelmäßig mit EU-Politikern, unter anderem mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron.

Polen und Litauen beraten mit ihren Botschaftern

Polen und Litauen haben ihre Botschafter in Belarus für Konsultationen zurückgerufen. Der Schritt sei nach "intensiven Beratungen" mit den Außenministern anderer EU-Länder erfolgt, darunter auch mit dem EU-Außenbeauftragten Josep Borrell, teilte das litauische Außenministerium am Dienstag mit. Zuvor hatte die Führung in Minsk verlangt, dass beide Länder ihr diplomatisches Personal in Weißrussland stark reduzieren.

"Unser Ziel ist es, den diplomatischen Kontakt maximal aufrechtzuerhalten", sagte Litauens Außenminister Linas Linkevičius. Diese Botschaft habe man auch der weißrussischen Seite vermittelt, mit der man übereingekommen sei, dass eine zeitweise Abwesenheit der Botschafter helfen könne, die Spannungen zu reduzieren. Sollte Weißrussland weiterhin auf der Reduzierung des Botschaftspersonals bestehen, werde man mit einem ähnlichen Schritt reagieren, heißt es in dem Statement des Außenministeriums. (APA, dpa, red, 6.10.2020)