Vieles muss zusammenpassen, um ein erfolgreiches Therapeutikum zu entwickeln.

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Christian Kowol ist assoziierter Professor für Anorganische Chemie an der Fakultät für Chemie der Universität Wien.

In Österreich ist derzeit etwa jeder 25. Mensch an Krebs erkrankt und rund 20.000 Menschen sterben jährlich daran. Krebstherapie ist seit jeher ein kontroverses Thema, wohl auch, weil diese oft mit starken Nebenwirkungen einhergeht. Gerade in späten Stadien der Erkrankung ist es eine Gratwanderung zwischen längerem Überleben und einer akzeptablen Lebensqualität in der verbleibenden Zeit. Im Gegensatz zu viralen oder bakteriellen Erkrankungen, wo fremde Krankheitserreger in unseren Körper gelangen und diesen schädigen können, sind im Falle von Krebs die körpereigenen Zellen der Feind.

Wie kann man gesunde Zellen schonen?

Krebszellen haben auf vielfältigste Art und Weise gelernt, alle Schutzstrategien des Körpers zu umgehen, indem sie je nach Krebsart verschiedenste physiologische Mechanismen manipulieren und zu ihren Gunsten verändern können. Ein Beispiel: Krebszellen produzieren an Ihrer Oberfläche viel mehr "Transportproteine" als normale Zellen, um an Nährstoffe für ihr schnelles Wachstum zu kommen. Dies sind genau die gleichen "Transportproteine" wie sie auch jede gesunde Zelle besitzt und benötigt. Das heißt: wenn man Krebszellen bekämpft, schädigt man fast unausweichlich auch gesunde Zellen, was wiederum zu den oft schweren Nebenwirkungen, die bis zum Therapieabbruch reichen können, führt. Seit Jahrzehnten forscht man daher nach möglichst tumorspezifischen therapeutischen Angriffspunkten, oder man versucht, die Therapeutika gezielter im Tumorgewebe anzureichern.

Platinhaltige Therapeutika

Ein Ansatz ist die Verbesserung von platinhaltigen Krebstherapeutika. Dies ist eine schon lange verwendete hochaktive Substanzklasse, die gegen viele Krebsarten wie beispielsweise Dickdarm-, Lungen-, Eierstock-, oder Hodenkrebs angewendet wird.

Man möchte vielleicht glauben, dass in Zeiten der Immuntherapie diese "alten" Substanzen überflüssig geworden sind. Aber es hat sich gezeigt, dass eine Kombination von Immuntherapie mit Platintherapeutika in vielen Fällen deutlich bessere Ansprechraten liefert als die Immuntherapie alleine. Allerdings arbeiten die meisten Forschungslabors ausschließlich an immer besseren Immuntherapeutika und nur wenige an der Optimierung der klinisch eingesetzten Platinsubstanzen.

Die Suche nach der Nadel im Heuhaufen

Auch in der Krebsforschung baut man meist auf dem Wissen der letzten Jahre und Jahrzehnte auf. Früheren Ideen fehlte aber oft ein letzter Schritt oder Wissensbaustein oder schlicht die nötigen finanziellen Mittel. Vieles muss zusammenpassen, um ein erfolgreiches Therapeutikum zu entwickeln und leider muss man annehmen, dass Tausende wirksame Verbindungen in der Krebsforschung aus verschiedensten Gründen nicht weiterverfolgt wurden.

Bei Platintherapeutika dient das Metall Platin, das man als reines Element eher von Schmuck kennt, als sogenanntes Zentralatom der chemischen Verbindung. In der Zelle bindet das Platinmolekül schlussendlich an die Erbsubstanz DNA und kann diese so schädigen, dass die Selbstzerstörung der Zelle eingeleitet wird. Wären dies immer nur spezifisch Krebszellen und keine gesunden Zellen, wäre das Problem der Nebenwirkungen gelöst. Daher untersuchen wir in unserer Forschung, wie man Platintherapeutika gezielter zum Tumor bringen kann, damit sie nur dort ihre Wirkung entfalten. Dafür modifizieren wir einerseits die Verbindung zu einer inaktiven Form und hängen diese zusätzlich an das körpereigene Bluteiweiß und Transportprotein Albumin. Der Tumor nimmt, wegen seiner Gier nach Nährstoffen, Albumin in erhöhtem Maße auf. Im Tumor wird unsere Verbindung (Albuplatin) dann aktiviert und kann den Tumor angreifen. Im gesunden Gewebe hingegen wird weniger Platin angereichert und die Verbindung bleibt inaktiv.

Der lange und teure Weg zum Medikament

Wenn man als Chemiker erzählt, man arbeite an der Entwicklung neuer Krebstherapeutika, hört man immer wieder die Frage: Ist schon was von dir in der Klinik? Krebstherapeutika-Entwicklung ist ein sehr, sehr langwieriger und teurer Prozess und ein extrem interdisziplinäres Feld. Die Entwicklung beginnt mit Synthese- und (bio)analytischer Chemie, geht weiter mit Zell- und Molekularbiologie hin zu Pharmakologie und Toxikologie. Leider besitzt nur ein ganz geringer Bruchteil der neu synthetisierten Verbindungen wirklich herausragendes Potenzial.

Will man die Verbindung bis zu einer ersten klinischen Erprobung am Menschen weiterentwickeln, braucht man mindestens 2–3 Jahre und rund zwei Millionen Euro Kapital. Genau hier gibt es das sogenannte "Tal des Todes" zwischen der universitären Forschung und der weiteren klinischen Entwicklung. Das heißt, wegen des hohen zeitlichen und finanziellen Aufwands kommen die meisten Ideen nicht über diese Hürde hinaus.

Die klinische Evaluierung einer Substanz dauert (wenn alles gut läuft) weitere fünf bis acht Jahre mit einem finanziellen Aufwand von mindestens 500 Millionen Euro. Bei diesen Beträgen kann man erahnen, dass eine klinische Entwicklung eines Krebstherapeutikums ohne ein zumindest mittelgroßes Pharmaunternehmen spätestens gegen Ende der klinischen Testung nicht möglich ist.

Doch in Anbetracht der Bedeutung von Krebserkrankungen in unserer Gesellschaft und dringend benötigten tumorspezifischen Therapeutika ist es unsere große Motivation vielversprechende Kandidaten zu designen und den Weg für ihre klinische Testung zu ebnen. Bei unserer Substanz "Albuplatin" haben wir das häufig zitierte "Tal des Todes" durch die Gründung eines Spin-off-Unternehmens bereits erfolgreich überwinden können.

Stellen Sie Ihre Fragen

Nicht Platintherapie gegen Immuntherapie, sondern eine Kombination der beiden erscheint zielführend in der Behandlung von Krebs. Möchten Sie mehr dazu und zur Entwicklung von Krebstherapeutika erfahren? Stellen Sie dazu im Forum Ihre Fragen! (Christian Kowol, 13.10.2020)