Foto: Arte / Keno Verseck

Ich bin ein Fan von Fernsehreportagen, weil sie in Lebenswelten führen, die mir zumeist verschlossen sind, und so einen Blick auf Neues, Unbekanntes erlauben. Zweifellos am besten macht das derzeit die Reportagereihe "Re:" auf Arte. Werktags um 19.40 Uhr bringen mir die Geschichten dort Europa und seine Menschen näher. Ob es um tanzende Stierkämpfer, spendierfreudige Porzellansammler, Schönheitsköniginnen mit Botschaften oder Sklaverei in Italien geht, ist eigentlich ganz egal. Fast immer sind es 30 Minuten, die sich auszahlen.

Diesen Montag erinnert "Re:" an das Massaker von Srebrenica vor 25 Jahren, bei dem zwischen 11. und 19. Juli 1995 mehr als 8.000 Menschen ermordet wurden. Hasan Hasanović war damals 19 Jahre alt. Ihm gelang die Flucht vor den bosnisch-serbischen Soldaten, die Jagd auf unbewaffnete muslimische Flüchtlinge aus Srebrenica machten. Bis heute verfolgen ihn die Gesichter der Toten und die Schreie der Verletzten: "Der Geruch der Leichen lag in der Luft an diesem heißen Julitag." Hasanovićs Vater und sein Bruder wurden ermordet, die sterblichen Überreste erst Jahre später gefunden: "Als sie bestattet wurden, verstanden wir das als Abschluss."

Leichenteile in den Wäldern

Hasanović streift durch den Wald, in dem vor 25 Jahren die Morde geschahen. Dort trifft er seinen Freund Ramiz Nukić, der nach Relikten sucht und dabei bis heute Leichenteile findet. In die Kamera hält er "einen Oberschenkelknochen, eine Gelenkkapsel und den Knochen einer Hand".

Solche Skelettteile untersucht die Pathologie in Tuzla. Auch dort machen die Reporter halt. In Plastikpaketen sind die Überreste in Regalen verstaut. Dass die Uno beim Einmarsch von Ratko Mladićs Truppen in Srebrenica abzog und die Flüchtlinge ihrem Schicksal überließ, wirft er der Organisation vor: "Sie haben einfach zugesehen. Das spricht Bände über das Versagen der internationalen Gemeinschaft."

Wie weiterleben

Ein solches Trauma zu überwinden scheint unmöglich, noch dazu wo vieles nicht gelöst ist. "Man denkt immer, sie kommen wieder", sagt Saliha Osmanović, die ihren Mann und zwei Söhne verloren hat, nach dem Massaker in ihr Haus zurückgekehrt ist: "Ich fühle mich lebendig begraben." Beim Kriegsverbrechertribunal in Den Haag sagte sie gegen Mladić aus.

Wie man es schafft weiterzuleben? Osmanović, indem sie an die Öffentlichkeit ging. Der Knochensucher Ramiz Nukić, weil er durch die Wälder streift, bis der letzte Teil gefunden ist. Hasan Hasanović, weil er für das Srebrenica Genozide Memorial Dokumente sammelt und Überlebende interviewt. Es geht darum, die Leugner zum Schweigen zu bringen. (Doris Priesching, 12.10.2020)

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