Babys brauchen Windeln. Viele Windeln. Die Müllberge, die dadurch entstehen, werden heute deponiert oder in Müllverbrennungsanlagen thermisch verwertet.

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Babys sind süß. Ihr Verbrauch an Kunststoffwindeln macht sie aber auch zu Produzenten riesengroßer Müllberge. Das fiel auch Sara Vecchiato auf. "2018 war ich in Karenz und sah, wie viele Windeln das Baby brauchte", sagt die Italienerin zurückblickend. "An guten Tagen benötigten wir fünf Windeln. An anderen war es das Doppelte."

Als Forscherin, die am Institut für Umweltbiotechnologie der Wiener Boku sowie am Austrian Centre of Industrial Biotechnology (Acib) in Tulln arbeitet, brachte sie das zum Nachdenken. An ihren Instituten forscht sie an Verfahren, die künftig eine lückenlosere Kreislaufwirtschaft ermöglichen sollen. Dazu gehört etwa die Frage, wie Materialien nach dem Vorbild der Natur mithilfe von Enzymen zerlegt werden können.

Die Frage ist: Funktionieren diese Verfahren auch für Windeln? Die Antwort möchte Vecchiato in den kommenden Jahren geben können. Innerhalb von sechs Monaten soll ein Proof of Concept stehen, der die generelle Machbarkeit von enzymatischem Recycling für die Windeln feststellt.

Gemeinsam mit Matthias Slatner, Open Innovation Manager am Acib in Tulln, ist sie auf der Suche nach Wirtschaftspartnern, mit denen die Idee im Rahmen eines Forschungsprojekts in einen industriellen Prozess umgesetzt werden kann. Das Acib selbst wird im Rahmen des Comet-Programms von der Förderagentur FFG und unter anderem von Klimaschutz- und Wissenschaftsministerium gefördert.

Enorme Müllberge

Das theoretische Potenzial der Idee ist riesig: In der EU werden jährlich mehr als 20 Milliarden Einwegwindeln produziert, wie die Recherche ergab. Weltweit entsteht über eine Tonne Windelmüll pro Minute. Heute wird dieser Abfallberg entweder deponiert oder in Müllverbrennungsanlagen thermisch verwertet.

Grundsätzlich bestehen Windeln aus drei Komponenten: Kunststoffe wie Polyethylen und Polypropylen, Cellulosefasern sowie superabsorbierende Polymere (SAP), die ein Vielfaches ihres Eigengewichts an Flüssigkeit aufnehmen können. "Unser Ziel ist es, einen Cocktail an verschiedenen Enzymen zu entwickeln, der möglichst viele Stoffe im Materialmix einer Windel abbauen kann", sagt Vecchiato.

"Die größte Herausforderung ist, dass das für manche Plastiktypen noch schwierig ist." Entdeckungen von Mikroorganismen, die beispielsweise PET-Kunststoffe zerlegen können, sorgten in den vergangenen Jahren aber immer wieder für Aufmerksamkeit.

Enzyme sind Moleküle, die für verschiedenste biochemische Prozesse zuständig sind. Sie organisieren den Stoffwechsel in Lebewesen. Für den industriellen Nutzen werden sie isoliert und mithilfe von speziellen Bakterienkulturen massenhaft vermehrt. Eines der Enzyme, die Vecchiato verwendet, befähigt Mikroorganismen beispielsweise dazu, die Schalen von Äpfeln zu zerlegen.

Bei ihnen hat sich herausgestellt, dass sie auch im Kunststoffbereich einsetzbar sind. "Die Enzyme sind aber jeweils nur sehr spezifisch für eine Kunststoffvariante einsetzbar", sagt Vecchiato. Ob also für jede Komponente ein Enzym gefunden werden kann, ist offen. Bei den wissenschaftlichen Screenings in diesem Bereich ist für Slatner immer auch eine Portion Glück nötig.

Windeln waschen

Im Moment experimentiert Vecchiato im Labormaßstab mit Mengen, die in ein Wasserglas passen. Ein resultierender industrieller Prozess könnte später so aussehen, dass die Windeln zuerst gewaschen und von jeder Biomasse getrennt werden. Diese könnte dann beispielsweise in Biogasanlagen zu Methan verarbeitet werden.

Die reinen Windeln würden dann zerkleinert und einer entsprechenden Enzymlösung ausgesetzt werden. Abhängig vom Material sollen die Materialien dann binnen Stunden oder Tagen zersetzt werden – ohne Bedarf an hohen Temperaturen oder Druck. Der besterprobte Abbauprozess ist jener von Cellulose.

Die Fasern werden zu Glukose abgebaut, die dann in einem Fermentationsprozess zu Ethanol wird, das als Industriechemikalie oder Treibstoff Einsatz finden kann. Bei den Kunststoffvarianten ist Vecchiato auf der Suche nach den besten Varianten. Die Superabsorber könnten laut der Forscherin auch ohne enzymatische Zerlegung wiederverwertet werden. Die gewonnenen Grundstoffe sollen als Basis für neue Produkte dienen – zum Beispiel für neue Windeln. (Alois Pumhösel, 8.11.2020)