Christian Fridrich, Professor für Geographische und Sozioökonomische Bildung an der Pädagogischen Hochschule Wien, argumentiert in seinem Gastbeitrag gegen die Idee, ein Schulfach "Finanzen" oder "Wirtschaft" zu etablieren.

Wie wir in der Zwischenzeit alle wissen, ist die Finanzkrise ja unter anderem auch deshalb entstanden, weil die Finanzindustrie Produkte erzeugt hat, die die Konsumenten nicht verstanden haben, später dann Produkte, die die Verkäufer nicht verstanden haben, und letztlich Produkte, die die Produzenten, die Verkäufer und die Käufer nicht mehr verstanden haben." So sprach nicht ein linker Ideologe, sondern Andreas Treichl in seiner damaligen Funktion als Chef der Erste Bank.

Die Behauptung eines unzureichenden Finanzwissens unter Wirtschaftsexperten ließe sich mit vielen weiteren Beispielen illustrieren: von sich abzeichnenden, zunächst jedoch nicht wahrgenommenen Firmendesastern wie jenem der Hypo Alpe Adria, Meinl Bank sowie zuletzt Commerzialbank Mattersburg und Wirecard bis hin zu spät entdeckten Geldwäscheaktionen durch bekannte Banken. Finanzielle Expertise kann auch auf Expertenseite mangelhaft sein.

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Mangelhaftes Wissen über Finanzen kann man bei allen Bevölkerungsgruppen konstatieren – manchmal auch bei Experten.
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Mangelhaftes Wissen über Finanzen kann man also bei Wirtschaftsexperten ebenso wie bei allen Bevölkerungsgruppen konstatieren. Analoges lässt sich für die Bereiche Technik, Medizin, Recht oder Ökologie feststellen, ohne dass dafür angesichts ohnehin schon übervoller Stundentafeln lautstark lamentierend nach einem eigenen Unterrichtsfach als Allheilmittel gerufen wird. Wohin man sieht: unzureichendes Wissen. Es scheint daher nötig, dieses zu verbessern. Nur: Was soll wie verbessert werden?

Welchen bildungspolitischen Stellenwert hat etwa eine Wissensüberprüfung, die sich daran bemisst, welcher Prozentanteil der Befragten den Begriff "Fonds" richtig erklären konnte? Gar keinen, denn das bedeutet noch lange nicht, dass jene kompetent mit Fonds in ihrem Alltag umgehen können. Daher sind derartige Diagnosen über Wirtschaftswissen kritisch zu betrachten. Was in "Wirtschaftstests" getestet wird, ist nie ökonomische Bildung, sondern nur allzu oft mathematisches Verständnis wie etwa Zinseszinsrechnung oder die korrekte Reproduktion von wirtschaftlichem Faktenwissen. Zudem legen Testkonstrukteure ihren ideologischen Hintergrund meist nicht offen, der in vielen Fällen auf Marktfundamentalismus basiert und sich in der Gestaltung von Tests niederschlägt. Damit werden Theoriepräferenzen bereits in den Fragen festgelegt, und nur Antworten in diesem ideologischen Sinn werden als richtig bewertet. Das ist illegitim und abzulehnen.

Mündig mitwirken

In einer umfassenden ökonomische Bildung geht es hingegen um die Befähigung (junger) Menschen, ihre hochgradig wirtschaftlich geprägten Lebenswelten zu gestalten, indem sie sich in unserer Gesellschaft orientieren, durch kritische Reflexion eine begründete und ethisch fundierte Meinung bilden sowie an wirtschaftlichen und politischen Prozessen mündig mitwirken – sei es im Haushalt (bei Geld und Konsum), in der Arbeitswelt (als Arbeitnehmer oder Arbeitgeber) oder in Gesellschaftskontexten auf unterschiedlichen Maßstabsebenen. Dafür ist unter anderem finanzielle Bildung erforderlich.

Es liegt somit auf der Hand, dass eine umfassende ökonomische Bildung für alle Bevölkerungsgruppen und speziell für Jugendliche ein Teil von Allgemeinbildung sein muss, wobei die Unterstützung von Lernprozessen durch bewährte außerschulische Lernorte, durch fundierte Lehr-/Lern-Materialien etc. sinnvoll erscheint. Deswegen ergibt es Sinn, die vielen Initiativen für Lehrkräfte übersichtlich darzulegen.

Wie soll ökonomische Bildung nun stattfinden? Dazu ein Gedankenexperiment: Wenn man bei Themen wie Konsumentscheidungen und -handlungen in Privathaushalten, Infrastrukturausbau oder Globalisierung ausschließlich die finanzielle Komponente, womöglich noch in einem eigenen Unterrichtsfach, behandeln würde, wie einseitig und monoparadigmatisch wäre das Ergebnis? Sind Eigennutzenmaximierer, Konsumisten und Opportunitätskostenkalkulatoren ein erstrebenswertes Ziel? Wer sich jedoch nur auf Finanzwissen fokussiert, löst das Thema "Geld und Finanzen" aus dem gesellschaftlich-politischen Kontext und neigt dazu, es naturwissenschaftlich als Schnitt von Kurven unterschiedlicher Art zu betrachten oder Wirtschaft gar zu personifizieren ("Die Finanzmärkte reagieren nervös"). Wirtschaft ist nicht etwas Gegebenes, sondern das Ergebnis menschlicher, interessengeleiteter Handlungen und daher von Menschen mitgestaltbar. Wer das leugnet, verschleiert Interessenkonstellationen und Machtverhältnisse und agiert somit antiemanzipatorisch.

Vernetzte Phänomene

Es gilt vielmehr, vernetzte Phänomene integrativ und plural unter Einbeziehung verschiedener gesellschaftlicher und politischer Perspektiven im Unterricht zu bearbeiten. Ein Fach, das dies leistet, gibt es bereits: Es heißt Geografie und Wirtschaftskunde. In dessen Mittelpunkt steht der in Gesellschaft, Wirtschaft, Politik und Umwelt mündig handelnde Mensch. Demgemäß sind die Lehrpläne (so auch der neue Lehrplan für die Schulen der Zehn- bis 14-Jährigen), die Schulbücher, weiterführende Unterrichtsmaterialien, unzählige Bildungsinitiativen in ganz Österreich und nicht zuletzt die Aus- und Fortbildung von Lehrpersonen gestaltet.

Was könnte helfen? Es braucht kein eigenes Unterrichtsfach "Wirtschaft" oder gar "Finanzen", sondern ein gemeinsames Weiterarbeiten für eine plurale, gesellschaftlich kontextualisierte ökonomische Bildung im bereits bestehenden Fach Geografie und Wirtschaftskunde, die (junge) Menschen dazu befähigt, ihre wirtschaftlich geprägten Lebenswelten zu gestalten, gesellschaftlich-wirtschaftliche Entwicklungen unter Berücksichtigung unterschiedlicher Perspektiven kritisch zu reflektieren und verantwortungsvoll zu handeln. Denn die derzeitige Wirtschaftsweise ist weder ökologisch nachhaltig, noch fördert sie den sozialen Zusammenhalt. (Christian Fridrich, 7.10.2020)