Vizekanzler Kogler, Kanzler Kurz und Minister Anschober beim Pressefoyer rund um den Ministerrat nach der Sommerpause: Am Mittwoch wird wie zu Zeiten des Lockdowns konferiert.

Foto: Matthias Cremer

Es war die längste und bangste Nacht für die türkis-grüne Regierung und ihre Stäbe seit dem Lockdown im Frühjahr – im Kanzleramt wie in den jeweiligen Homeoffices: Denn noch vor Montagmitternacht, gegen 23.30 Uhr, sollten die Corona-Testergebnisse des Kabinetts von Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) eintrudeln, kurz danach jene des Kabinetts von Vizekanzler Werner Kogler (Grüne), nachdem am Nachmittag bekanntgeworden war, dass sich ein enger Mitarbeiter von Kurz mit Covid-19 infiziert hat.

Ab diesem Zeitpunkt herrschte für die Regierungsriege und ihren Tross Alarmzustand – und nur mehr eine Parole: Testen, testen, testen, was das Zeug hält. Parallel dazu musste in Windeseile eruiert werden: Wer gilt als K(ontakt)-1-Person des erkrankten Mitarbeiters? Und soll raschest in häusliche Quarantäne beziehungsweise lieber gleich vor Ort im Kanzleramt bleiben?

Schon beim Einlangen der Hiobsbotschaft um circa 15 Uhr hatten Kurz und Kogler für sich selbst abrupt den Retourgang eingelegt: Beide gerade auf dem Weg nach Salzburg zu einem Auftritt bei den Festspielhäusern unterwegs, kehrten die Koalitionsspitzen sofort um, um sich separat zu isolieren.

Erst am Dienstag, gegen zwei Uhr in der Früh, sollte dann offiziell halbe Entwarnung für das Land gegeben werden können. Denn die nächtliche Testprozedur hatte sich doch länger hingezogen als erwartet. Via Austria Presseagentur gab das Kabinett von Kurz danach bekannt: In der Regierung seien zwar alle getesteten Mitglieder negativ – doch auch ein Mitarbeiter von Staatssekretär Magnus Brunner (ÖVP) habe sich angesteckt.

Der nächste Schreck

Nur wenige Stunden später, am Dienstagvormittag gegen zehn Uhr, folgte der nächste Schreck: Auch Infrastrukturministerin Leonore Gewessler, beim letzten Ministerrat zwar nicht anwesend, begab sich in freiwillige Selbstisolation, weil sie bei einer Arbeitssitzung Kontakt zu Brunners Mitarbeiter hatte.

Wie Kogler führt auch Gewessler ihre Amtsgeschäfte vorläufig vom Homeoffice aus, ein erster Test am Dienstagabend fiel bei ihr aber negativ aus. Kanzler Kurz selbst amtierte am Dienstag ebenfalls per Videokonferenzen und Telefon weiter. Denn: "Nur Covid-19-positiv" mit Symptomen bedeute, dass "die Regierungsgeschäfte nicht mehr zu führen sind", erklärt jemand, der am Geschehen nahe dran ist.

Auch für Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP), derzeit an vorderster Front im Wiener Wahlkampf, gestalteten sich die letzten Tage wie eine Achterbahnfahrt: Von Anfragen, was der Corona-Fall für ihn bedeutet, wirkten seine Sprecher zunächst überrumpelt. Man schien die Frage vorerst nicht so recht zu verstehen, ehe sein Team am Montagabend dann alle Wahlkampftermine absagte. Dienstag wollte Blümel doch wieder in die Wahlschlacht ziehen und Termine wahrnehmen.

Konkrete Pläne

Doch was passiert konkret, wenn die Staatsspitze tatsächlich einmal ernstlich erkrankt? Von Kanzler Kurz würde die Geschicke der Republik vorübergehend Vizekanzler Kogler übernehmen. Sollte auch dieser gesundheitlich angeschlagen sein, kommt laut dem Parlamentarismusexperten Werner Zögernitz der dienstälteste Minister zum Zug. Sollten die Minister gleich lang im Amt sein, wird nach Lebensjahren entschieden – damit würde Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP) mit 65 Jahren interimistisch an die Regierungsspitze rücken.

Für den Ernstfall gibt es auch für den Bundespräsidenten eine eigene Regelung: Sollte Alexander Van der Bellen erkranken, kann der Kanzler für zwanzig Tage dessen Amt übernehmen. Nach dieser Frist geht die Zuständigkeit an die drei Nationalratspräsidenten. Der erste Präsident, in diesem Fall Wolfgang Sobotka (ÖVP), hätte den Vorsitz inne, wobei Entscheidungen dann von der Mehrheit getroffen werden.

Diskretion oberstes Gebot

Doch bis solche Szenarien – wenn überhaupt jemals – zu wälzen sind, taten sich für die interessierte Öffentlichkeit zunächst ganz andere Fragen auf – etwa warum Medien den Namen des erkrankten Mitarbeiters von Kurz nicht lüften. Laut Anwältin Maria Windhager, die den STANDARD in Medienfragen berät, gilt hier: "Jede Form von Krankheit, es kann auch etwas ganz Harmloses sein, geht niemand etwas an, da es sich um Informationen über den höchstpersönlichen Lebensbereich handelt." Nur in Ausnahmefällen ließe sich die Namensnennung begründen, etwa wenn es sich um den Bundespräsidenten oder den Kanzler höchstpersönlich handelt.

Wie zu Zeiten des Lockdowns findet der anstehende Ministerrat virtuell statt: Das Gros der Regierungsmitglieder soll am Mittwoch per Video ins Kanzleramt zugeschaltet werden, ehe man wieder an die Öffentlichkeit tritt. (Jan Michael Marchart, Nina Weißensteiner, 6.10.2020)