Gelungen kuratiert: An den ramponierten Wänden hängt Hermann Nitsch (links) neben Thomas Reinhold. Davor herrliche Nippes-Tierfiguren von Ernst Miesgang.
Foto: Leerstand Gallery / Rudas

Wien – Der Putz bröckelt, Kabel lugen aus der Decke, die Wände sind nur zur Hälfte gestrichen. Dazwischen hängen Gemälde, Skulpturen stehen auf kaputten Fliesen. Überraschend: Neben jungen Positionen gibt es hier auch Werke von Hermann Nitsch, Günter Brus und Elisabeth von Samsonow.

Im März zog die jahrelang in der Praterstraße 45 residiert habende Libro-Filiale aus und hinterließ leere Räume. Bis jetzt ist unklar, was auf den 300 Quadratmetern längerfristig passieren soll. Stella Reinhold-Rudas und ihr Mann Emanuel Rudas aber erkannten das Potenzial der verwaisten Immobilie und nutzen sie nun für einen Monat als Pop-up-Galerie zwischen.

Beide kommen aus dem Kulturbereich – sie war lang als Kunstberaterin, er im Kulturmanagement tätig – und bespielen nun die Räume mit ihrer "Leerstand Gallery". Lediglich die Betriebskosten mussten sie zahlen und neue Lampen installieren.

Diskret sakral: Elisabeth von Samsonow hat ihre "Anti-Elektra" wie einen Altar aufgebahrt.
Foto: Leerstand Gallery / Rudas

Opfergabe bis Blutung

Was sich da vielleicht etwas amateurhaft anhört und unter dem Titel Opfer Ihrer Zeit banale Corona-Kunst vermuten lässt, ist es keinesfalls. Mit einer Mischung aus Jung und Alt gelingt hier eine schön kuratierte Ausstellung, die durchaus auch in einem etablierteren Raum stattfinden könnte.

Das "Opfer" zieht sich dabei als roter Faden durch, ist aber unaufdringlich und weist diskret sakrale Elemente auf: Neben Schüttbildern von Hermann Nitsch – dass seine Arbeiten dabei sein müssen, war von Anfang an klar, so Reinhold-Rudas – findet man einen extra für den Raum angefertigten Weiblichkeitsaltar von Elisabeth von Samsonow sowie kitschig-grausliche Tier-Nippes von Ernst Miesgang.

In einem gefliesten Zwischenraum baumeln Glasfläschchen an einer Kette von Erisa Mirkazemi, darin hat die Künstlerin Menstruationsblut abgefüllt. Fotografierten Fundstücken von Anja Ronacher wird die wilde Selbstverstrickung von Günter Brus gegenübergestellt. Dass hier einmal Schulhefte verkauft wurden, hat man längst vergessen. (Katharina Rustler, 6.10.2020)