"Man bringe den Spritzwein." Mit diesem Satz wurde vor zehn Jahren in Wien ein Pfad eingeschlagen, der damals neu war in Österreich. Die SPÖ sollte fortan mit Grün regieren, die sich bis dahin nur als laute Oppositionspartei einen Namen gemacht hatte. Das Programm der damaligen Parteispitzen Michael Häupl und Maria Vassilakou war ambitioniert. Über Projekte der Erstauflage von Rot-Grün wird von beiden Seiten noch heute geschwärmt, sei es die anfangs sehr umstrittene Umgestaltung der Mariahilfer Straße in eine Fußgänger- und Begegnungszone oder die Einführung des 365-Euro-Jahrestickets für die Wiener Linien.

Gemeinsam entwickelte man seit 2010 auch Visionen für die zukünftige Stadt. Selbst wenn man oft das Gefühl hat, entsprechende Papiere verschwinden in den Rathausschubladen, sind sie durch Gemeinderatsbeschlüsse besiegelt. Konkrete Zielvereinbarungen wie die Senkung der CO2-Emissionen im Verkehr um 50 Prozent pro Kopf bis 2030 oder das Erhalten des Grünraumanteils in Wien bis 2050 bei mehr als 50 Prozent trotz Erweiterung des Wohnraums wurden schwarz auf weiß unterzeichnet. Sie sind in der Klimakrise umso wichtiger.

Tragetaschen von Grünen, SPÖ und Neos.
Foto: APA/HERBERT NEUBAUER

Aber es ist nicht nur die Tatsache, dass Rot-Grün ein gemeinsames Bild entwickelt, wie die Bundeshauptstadt auch für die nächste Generation noch attraktiv ist. Diverse Rankings sprechen schon jetzt für die Stadt, der eine hohe Lebensqualität bescheinigt wird. Umso leichter tun sich die Parteien, bei ihrer positiven Erzählung zu bleiben und für eine Fortsetzung des Weges zu plädieren.

Natürlich werden im Wahlkampf auch Konflikte nach oben gespült. Gräben, die es zwischen Rot und Grün gibt, klaffen noch weiter auseinander. Auch im persönlichen Umgang wird der Ton zunehmend rauer, etwa als Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) das Konzept zur autofreien City medienwirksam zurückwarf. Die Grünen würden gern schneller zu den Zielen kommen. Sie sind aber der Juniorpartner, auch wenn sie sich als Taktgeber sehen.

Endspurt des Wahlkampfs

Ludwig lässt es sich auch nicht nehmen, sich andere Optionen offenzuhalten. Doch wie realistisch ist es, dass die SPÖ nach der Wahl mit der türkisen ÖVP oder gar den Neos regiert? Nicht besonders: Zwischen Ludwig und ÖVP-Spitzenkandidat Gernot Blümel liegen Welten. Bei jeder Gelegenheit setzt der Finanzminister zum Wien-Bashing an. Ludwig kann gut mit dem Wirtschaftskammerflügel – die Zügel in der Hand haben diese Vertreter in der ÖVP derzeit allerdings nicht.

Bei den Neos bleibt abzuwarten, ob die Zusammenarbeit rechnerisch überhaupt möglich wäre. Und selbst dann – vielleicht bleibt Ludwig doch bei den Grünen und lässt sie weiter Radwege gestalten und Bäume pflanzen. Den Bildungsstadtrat herzugeben, auf den die Neos spitzen, täte ihm mehr weh.

Einen fulminanten Wahlsieg wird die wie Ludwig heuer erstmals als Spitzenkandidatin antretende Birgit Hebein außerdem wohl nicht einfahren. Grüne Ansprüche auf einen zweiten Stadtratsposten sind da nicht so leicht zu stellen.

Im Endspurt des Wahlkampfs kann die SPÖ zudem selbst noch auf grüne Stimmen hoffen, weil an sich die Zielgruppen ja ähnlich sind. Vor allem, wenn der Bürgermeister in den Elefantenrunden besser performt als Hebein.

Bisher ließ Ludwig diese Chance aber liegen: Ansagen in Richtung Grün-Wähler findet man selbst mit der Lupe nicht. (Rosa Winkler-Hermaden, 7.10.2020)