Bild nicht mehr verfügbar.

Neo Rauchs Gemälde sind weltweit gefragt ...

Foto: AP Photo/Jens Meyer

... doch Kunstkritiker Wolfgang Ullrich ist kein Freund von ihnen.

Foto: Annekathrin Kohout

So groß hatte Wolfgang Ullrich sich das Bild gar nicht vorgestellt, von dem ihm da im Juni vergangenen Jahres in einem Anruf aus der Redaktion der Wochenzeitung Die Zeit berichtet wurde. Es handle sich um eine "Art Karikatur" von einem Mann, der "mit Exkrementen male" und der offenbar er sei, wurde ihm beschieden. Die Leinwand vor ihm sei mit einem Hitlergruß beschmiert. Den Titel Anbräuner – so bekrittelte Ernst Jünger 1982 die Suche nach Rechtsgesinnten – kennt Ullrich in dem Moment noch nicht. Das Bild war der Zeit als ein Leserbrief auf einen dort von Ullrich im Monat zuvor veröffentlichten Artikel vom Malerstar Neo Rauch zugeschickt worden.

Rechtsruck in der Kunst

Der Kunstkritiker hatte darin einen politischen Rechtsruck von Teilen der Kunstwelt attestiert. Als Beleg dafür zog er unter anderem Aussagen Rauchs in diversen Interviews heran, in denen der Leipziger Künstler etwa bekundete, er sei "auf Sicherheit von Haus und Hof aus. Ich gehe mit dem Knüppel vor die Türe, wenn’s im Gebüsch raschelt", die Gedanken an offene Grenzen und Flüchtlinge brächten ihn "um den Schlaf", und die Verhältnisse in Deutschland heute seien weniger liberal als damals in der DDR.

Rauchs Replik erregte einiges an Aufsehen, nicht nur in den Feuilletons, sondern auch in rechten Kreisen. In seinem eben erschienenen Buch Feindbild werden rollt Ullrich den Konflikt nun erneut auf. Nicht aus gekränkter Eitelkeit und Rache, beteuert er, sondern weil er meint, an ihm etwas über den konkreten Fall hinaus festmachen zu können.

Tatsächlich zeichnet er an dem im Buch mit großem hermeneutischen Eifer mal in diese und mal in jene Richtung gedeuteten Gemälde klar argumentierend in den noch immer bestehenden deutschen Ost-West-Konflikt sowie in der Kunstszene aktuelle Auffassungsunterschiede zur Autonomie des Künstlers nach.

Verkehrte Autonomie

Diese Autonomie wird zu einem Dreh- und Angelpunkt der 160 Seiten. Sei nämlich in der Moderne die Autonomie des Künstlers von den ihn umgebenden Verhältnissen als wichtig erachtet worden, weil sie ihn wie ein Schild vor überkommenden und engen gesellschaftlichen Konventionen schützte und seinem Werk so erlaubte, vom weltlichen Status quo unkorrumpiert aufklärerisch und emanzipatorisch zu sein, werde diese Idee in jüngster Zeit ausgerechnet von linker Seite zunehmend kritisch beäugt.

Denn ein Künstler, der sich als außerhalb von Diskursen stehend empfindet, könne eben auch Werke schaffen, die "unsensibel gegenüber der sozialen Wirklichkeit" seien.

Stattdessen sieht Ullrich künstlerische Autonomie heute zunehmend von rechts beansprucht. Dabei werde ihre Idee umgedeutet und die Kunstfreiheit von meist älteren, männlichen, weißen Künstlern "martialisch" als Widerstand gegen herrschende Verbote aufgeladen. Besonders von solchen, die die Erfahrung des Unrechts- und Überwachungsstaates DDR gemacht haben.

Trivialisierte Kunst im Westen

In einem solchen Verteidigungskampf vermutet Ullrich auch den Maler Neo Rauch, wenn er dem Kritiker aus dem ehemaligen Westen (der heute übrigens in Leipzig lebt) mit einem "Schmähbild" entgegnet. Wobei erschwerend hinzukommt, dass die westdeutsche Kunstproduktion, die seit Kriegsende jede Freiheit genossen habe und boomende Märkte belieferte, im Osten als trivialisiert angeschrieben sei.

Jenseits gesellschaftspolitischer Schlüsse ist Ullrichs Buch auch eine Lektion in sich vorantastender, detailversessener Bildlektüre. Von dem Zeitungsstapeln am Boden über die drei Furunkel am Hintern des Malers bis zur hölzernen Decke sucht Ullrich sich aus dem Werk heraus einen Reim darauf zu machen.

So passiert es Ullrich auch zuerst, dass er das Bild als das Selbstporträt eines sich von falschen Vorwürfen in die Ecke getrieben fühlenden Künstlers deutet. Wobei er dem Gedanken angesichts von Rauchs Marktpreisen und dass er von Sammlern wie Museen hofiert wird, zugleich nicht nachvollziehen kann.

"Befreiungsschlag"

Weniger bekannt ist, wie es mit dem 1,20 mal 1,50 Meter großen Anbräuner weiterging. Ullrich erzählt davon, wie er "Projektionsfläche" von rechten Hassbotschaften wurde, die aber schon nach wenigen tagen wieder nachließen.

Die "Wutkarawane" war weitergezogen, stellt er die Erregungsmaschine analysierend fest. Das Bild wurde in rechten Kreisen noch als "Befreiungsschlag" gewürdigt und als Widerstand gegen Political Correctness gefeiert, da reichte Rauch es bei einer Wohltätigkeitsversteigerung ein, wo es für eine dreiviertel Million Euro im Immobilienunternehmer Christoph Gröner einen Besitzer fand, der erklärte, es ins Foyer des zu gründenden "Vereins für den gesunden Menschenverstand" hängen zu wollen.

Ullrich ist mit Feindbild werden einer Reihe von Unterschieden auf der Spur. Mit dem Soziologen Alexander Reckwitz ruft er auch das Begriffspaar "Hyperkultur" und "Kulturessentialismus" auf, wobei Erstere eine pluralistische Identitätsaushandlung meint, die Letzterem, der verwurzelten Identität, gegenübersteht. Dass das Bild irgendwann einmal neutral an die Überwindung dieses Konflikts erinnert, hofft Ullrich. Bis dahin ist es ein weiter Weg. (Michael Wurmitzer, 6.10.2020)