David Byrne, Chris Frantz, Tina Weymouth und Jerry Harrison – die Talking Heads Ende der 1970er. Frantz hat nun ein erhellendes Buch über seine Band geschrieben.

Foto: Sire Records

Alle wichtigen Dinge beginnen mit "T" – zumindest in der Biografie des Chris Frantz. Er selbst listet sie auf dem Cover seines Buches Remain in Love chronologisch auf. Zuoberst steht "Talking Heads", dann "Tom Tom Club", dann "Tina".

Reihte er mit dem Herzen, stünde Tina Weymouth an erster Stelle, ganz klar. Sie war Gründungsmitglied und Bassistin der New Yorker Talking Heads. Chris Frantz ist ihr Ehemann, er war der Schlagzeuger und ebenfalls Gründer dieser bahnbrechenden Band – und gemeinsam machten sie parallel zu den Talking Heads mit ihrer Gruppe Tom Tom Club Karriere.

Nach vielen Büchern, die sich der Band von außen näherten, hat Frantz nun das erste aus der Innensicht geschrieben. Und das bietet einiges. Vor allem einen freundlichen Grundton, eine anrührende Begeisterung für seine Frau – und ein Korrektiv, das das bisherige Bild der Band zurechtrückt.

Denn die Talking Heads wirkten oft wie das Vehikel des David Byrne. Er war eine wesentliche Kraft, der zappelige Sänger, der Exzentriker in Straßenklamotten, der intellektuelle, experimentierfreudige, kunstsinnige New Yorker.

Remain in Love gesteht ihm all das zu, schneidet einiges zurück und reichert das Bild um ein paar unschöne Facetten an. Etwa dass Byrne sehr früh versucht hat, Weymouth aus der Band zu drängen, sich Song- und Produzentencredits erschlichen hat und mit dem Erfolg des Tom Tom Club nicht umgehen konnte.

Als Gipfel menschlicher Unzulänglichkeit erzählt Frantz vom Ende von Byrnes Ehe. An dem Tag, an dem die Heads 2002 in die Rock-’n’-Roll-Hall-of-Fame aufgenommen wurden, kam es zu einem kurzen Reunionauftritt. Danach verschwand Byrne. Seine Frau Bonnie blieb aufgelöst zurück, niemand wusste, wo er war. Erst am nächsten Tag erreichte Frantz ihn endlich. Byrne offenbarte ihm am Telefon, dass er beschlossen hatte, sich von Bonnie zu trennen – ohne es ihr zu sagen, verschwand er: "It’s time to move on", ließ er Frantz seiner Frau ausrichten. Ein echter Sir.

Uneitler Pragmatiker

Doch Frantz versagt sich jede Überheblichkeit. Zwar verschweigt er nicht diverse Kränkungen und Wunderlichkeiten, die Byrne der Band immer wieder zugemutet hat. Doch er memoriert auch die gemeinsamen Erfolge, die guten Zeiten. Schließlich kannte er Byrne immer schon als sozial schwierige Person, er war einiges gewohnt.

Remain in Love – angelehnt an das Talking-Heads-Meisterwerk Remain in Light – ist eine tolle Bandbiografie. Frantz erweist sich uneitel als jener Pragmatiker, der den Laden oft zusammengehalten hat. Er beschreibt trotz einer schlimmen Kokssucht in den 1980ern mit solidem Erinnerungsvermögen die Gründung und den Aufstieg seiner Band.

Dabei fallen Anekdoten sonder Zahl ab – von seltsamen Abenden bei Lou Reed über eine desaströse Produktion für die britischen Drogen-Raver Happy Mondays bis zu gemeinsamen Europatourneen mit den Ramones. Deren Stinkstiefel hieß Johnny mit Vornamen und fand wochenlang alles scheiße. Nur einmal erstrahlte sein Gesicht: Als er in Paris vom Bandbus aus eine McDonalds-Filiale erblickte.

Nebenbei Musikgeschichte geschrieben

Eher nebenbei erwähnt Frantz die Entstehung von epochemachenden Alben wie Fear of Music oder des Konzertfilms Stop Making Sense – in dem sich Byrne, gegen jede Abmachung, wieder besonders hervortun musste.

Frantz ist milde, aber prinzipientreu. Mit dem Tom Tom Club bewies er sich und der Welt, dass er keinen David Byrne braucht, um erfolgreich Musik zu produzieren. Bei allem ausgelebten Rock-’n’-Roll-Lifestyle entsteht das Bild eines kunstsinnigen, sympathischen Romantikers, der mit Weymouth, Jerry Harrison und Byrne Musik geschaffen hat, die immer noch unverschämt modern klingt.

Remain in Love macht nun allerdings klar, dass diese Musik schon eine kollektive Leistung war – und nicht die eines Einzelnen. (Karl Fluch, 7.10.2020)