Anschober ist der Mann mit den Daten. Nun könnte nach einer Umstellung Verwirrung aufkommen.

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Die Zahl bestätigter Sars-CoV-2-positiver Menschen in Österreich kletterte am Dienstag auf ein neues Allzeithoch. Innen- und Gesundheitsministerium vermeldeten mit Stand 9.30 Uhr 9.207 aktive Fälle, mehr als je seit Beginn der Coronavirus-Pandemie. Der bisherige Rekordwert von 9.123 aktiv Infizierten vom 3. April wurde damit übertroffen.

In den vergangenen 24 Stunden wurden zudem 923 Neuinfektionen eingemeldet. Im Schnitt der vergangenen sieben Tage kamen täglich 825 Neuinfektionen hinzu. 498 Covid-19-Patienten mussten in Krankenhäusern behandelt werden, 101 davon auf Intensivstationen. Von Montag auf Dienstag starben zudem vier weitere Menschen an Covid-19. Das steigerte die Todesopferbilanz auf 822 Personen.

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Ministerium beruhigt

Im Gesundheitsministerium war man trotz der Rekordzahl aktiv Infizierter um Beschwichtigung bemüht. Ja, die Zahlen seien hoch, hieß es aus dem Büro Rudolf Anschobers, doch man dürfe nicht vergessen, dass Maßnahmen immer zwei Wochen zeitverzögert greifen würden.

Tatsächlich ist die letzte bundesweite Verschärfung schon eine Weile her, die Zehn-Personen-Regel und die Ausweitung der Maskenpflicht traten am 19. September in Kraft. Haben sie also nichts gebracht? So will man das im Gesundheitsministerium nicht sehen. Man rechnet mit einem Sinken der Zahlen innerhalb der ersten Oktoberhälfte, wird erneut betont. Drangehängt der Appell: Die Länder könnten ja zusätzlich regionale Maßnahmen setzen. Was einige tun, immerhin wurde bekanntlich in Vorarlberg, Tirol, Salzburg und Niederösterreich die Sperrstunde vorverlegt.

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Im Büro Anschober betonte man zudem, dass immerhin 50 Prozent der neu entdeckten Fälle Kontaktpersonen der Kategorie eins seien, sie also schon zum Zeitpunkt der Testung in Quarantäne gewesen seien. Dennoch startete Minister Anschober per Aussendung am Dienstagnachmittag einen Appell: Es brauche eine "Stimmung des Mitmachens, der Verantwortungsübernahme, der Vorsicht", dahin sei man auf dem Weg. Das erklärte Ziel Anschobers: eine "Stimmung wie im Frühling".

Zählart lässt Zahlen steigen

Doch wie hoch ist die Zahl aktiv mit Corona infizierter Menschen in Österreich tatsächlich? Hier dürfte es angesichts der Werte im Covid-19-Dashboard in den nächsten Tagen zu einigem Erstaunen kommen, denn die Zahlen werden steigen – und zwar über das ohnehin beachtliche Ausmaß hinaus, das sie inzwischen erreicht haben.

Grund dafür ist eine Änderung bei der Erfassung der Fälle. Diese wiederum fußt auf einer Umorganisation des Dashboards, das künftig übrigens nur noch einmal täglich, jeweils um 14 Uhr, aktualisiert wird.

Bisher wurde es vom Gesundheitsministerium auf Basis der täglichen Meldungen aus den Bundesländern ans Innenministerium geführt. Nun wird es von der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (Ages) übernommen, die sich allein auf das Epidemiologische Meldesystem (EMS) stützt, das von den Bezirksbehörden und den Labors bestückt wird. Die Neuerung sei lange geplant und werde zu besseren statistischen Auswertungen führen, heißt es aus dem Büro Anschober.

Laut dem alten Dashboard waren am Dienstag wie gesagt 9.207 Covid-19-Infektionen aktiv. Laut der neuen Ages-Zählung waren es 11.274 – über 2.000 Fälle mehr. "Das hat mit dem Einmelden genesener Personen ins EMS zu tun. Bisher nannten die Bundesländer täglich deren Gesamtzahl. Nun werden nur jene Fälle als Genesene erfasst, die für das EMS in den Bezirken oder Labors als solche von Mitarbeiterinnen oder Mitarbeitern einzeln abgehakt wurden. Das dauert seine Zeit", erklärte ein Sprecher Anschobers. Bis es zu einem Wiederangleichen an die Zahl aktiver Corona-Infektionen aus dem alten Dashboard komme, werde es "einige Tage dauern".

Eine weitere – wenn auch deutlich geringere – Abweichung wird es im neuen Dashboard auch bei den Todesfällen geben. Hier folgt die Ages den Vorgaben der Weltgesundheitsorganisation und zählt fast alle mit einer Covid-19-Infektion Verstorbenen als "Corona-Tote" (außer es gibt eine eindeutige alternative Todesursache, die nicht mit der Covid-Erkrankung in Zusammenhang gebracht werden kann). Aus diesem Grund werden von der Ages elf zusätzliche Todesfälle ausgewiesen.

Journalisten informiert?

Den Datenjournalistinnen und -journalisten des Landes sei die Dashboardänderung im Vorfeld erklärt worden, versicherte man am Dienstag im Büro Anschober. Es habe eine Mitteilung über die Systemänderung gegeben – nicht aber über deren vorübergehende Auswirkung auf die ausgewiesenen Zahlen, heißt es dazu im Datenressort des STANDARD.

Vom Gesundheitsminister kam unterdessen erneut explizite Kritik an Wien: "Auch das Kontaktpersonenmanagement dauert in Wien teilweise nach wie vor zu lange", hieß es in einer Aussendung. An einer Verbesserung werde intensiv gearbeitet, hieß es dazu aus dem Büro des Wiener Gesundheitsstadtrats Peter Hacker (SPÖ): "Bei der Gesundheitshotline in Wien arbeiten inzwischen bereits 451 Menschen, fast 30 mehr als vor zwei Wochen. Die telefonischen Wartezeiten konnten auf durchschnittlich wenige Minuten verringert werden – von zwei Ausreißersituation mit mehr als einer Stunde Wartezeit abgesehen."

In der Bundeshauptstadt sträubt man sich bekanntlich hin und wieder gegen Vorgaben des Bundes, zuletzt etwa, wenn es um die vorgezogene Sperrstunde ging. Als eine von vielen Vertreterinnen des Bundes sprach sich Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (ÖVP) erst kürzlich explizit dafür aus, Wien blieb bislang stur.

Corona-Test für Kinder

Dafür arbeitete man immer stärker an der Entwicklung von Testmethoden. Erst wurde der Cluster-Buster-Bus eingeführt, der mittels Schnelltests an Schulen testet, kurz danach verkündete Gesundheitsstadtrat Hacker, dass man auch Radboten mit Corona-Tests ausschicke, dazu wird derzeit der Einsatz von Schnelltests in One-Stop-Shops geprüft. Außerdem arbeitete die Hauptstadt an einem speziellen Corona-Test für Kinder. Die Idee: Die Speichelprobe soll mit einem Lutscher abgenommen werden, das soll den recht unangenehmen Rachen-Abstrich ersetzen. (Irene Brickner, Gabriele Scherndl, Michael Simoner, 6.10.2020)