Abschied unter Freunden.

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Paris – Es war kein gewöhnliches Tennisspiel, es war eine Tennisschlacht, ein Epos. Für den Verlierer eine kleine Tragödie, sofern dieser Begriff im Sport überhaupt zulässig ist. Der 27-jährige Dominic Thiem hat elf Partien in Serie auf Grand-Slam-Ebene gewonnen, das Dutzend schaffte er am Dienstagabend nicht mehr. "Ich war leer."

Roland Garros

Schauplatz Paris, der Court Philippe Chatrier in Roland Garros, 15.30 Uhr. Thiem wirkte noch gezeichnet vom Achtelfinal-Marathon am Sonntag gegen den lästigen Qualifikanten Hugo Gaston, der sich 3:32 Stunden lang gewehrt hat. Schwartzman, der in den vier Spielen davor keinen Satz abgegeben hat, nutzte das schamlos aus. Seine Returns waren famos, immer wieder kam er ans Netz, der 1,70 Meter kleine Argentinier vollierte ganz groß. Seine Stopps waren mitunter genial. Und er lief um jeden Ball, Thiem hatte Mühe mit dieser Gummiwand, die seine Rückhand massierte.

Unkonzentriert

Aber der Weltranglistendritte blieb dran, seine Schläge waren oft besser als die Körpersprache. Im Tiebreak war er allerdings unkonzentriert und chancenlos, Schwartzman gewann es 7:1. 65 Minuten hat der erste Abschnitt gedauert. Im zweiten Satz ging es erneut hin und wieder her, beim 28-jährigen Argentinier schlichen sich ein paar leichte Fehler ein. Das neunte Game dauerte 16 Minuten, Thiem vergab gleich sieben Breakbälle. Dass er trotzdem den Satzausgleich schaffte (7:5), spricht für seine Mentalität, seine Klasse, seinen Willen. Dieser Teil währte gar 71 Minuten.

Dritter Abschnitt: Eine Break-Orgie (vier pro Mann), der eigene Aufschlag war ein gravierender Nachteil. Schwartzman hatte bei 5:4 Satzball, er vergab ihn. Thiem hingegen nützte im Tiebreak nach 67 Minuten seine dritte Chance. Das Momentum lag nun beim US-Open-Sieger, der Lichtenwörther führte 2:0, worauf ihn sein Service aber wieder im Stich ließ. Schwartzman ließ dafür nicht locker. Weshalb er dann bei 5:4 und eigenem Aufschlag drei Satzbälle ungenützt ließ, weiß er wohl selbst nicht. Thiem mobilisierte jedenfalls die letzten Kräfte, überwand sämtliche Schweinehunde, punktete mit der Vorhand spektakulär. Einige Ballwechsel verdienten das Prädikat "Weltklasse", es wurde im Sand gezaubert. Von beiden Spielern. Das Tiebrak musste entscheiden. Thiem führte 3:1, aber Schwartzman wuchs über sich hinaus. Nach 73 Minuten schnappte er sich den vierten Satz, eine Rückhand longline von Thiem landete sehr weit im Out. Zwischenzeit: 4:36 Stunden.

Missglückter Stopp

Das sollte es gewesen sein, denn Thiem erholte sich nicht mehr von dem Schock, er wankte über den Platz, war physisch und psychisch gebrochen. Schwartzman gewann locker mit 6:2, ein völlig missglückter Stopp von Thiem beendete die Schlacht. Nach 5:09 Stunden. Der Verlierer hatte eine Vorahnung: "Mir ist klar, dass mein Tank irgendwann leer ist." Am Dienstagabend war es dann so weit.

Schwartzman, er verkürzte im Vergleich auf 3:6, sagte noch auf dem Platz: "Dominic ist einer der Besten der Welt, wir sind Freunde. Ich habe großen Respekt. Letztendlich habe ich es verdient."

Thiem verließ den Court prompt, äußerte sich erst später: "Es war ein sehr unterhaltsames Match mit tollen Rallyes. Am Netz sagte ich ihm, dass er es verdient hat. Mit diesem Sieg ist er jetzt Top Ten. Das ist eine große Leistung. Er hat erstmals ein Semifinale bei einem Grand Slam erreicht. Wir haben beide alles gegeben. Im Tennis gibt es einen Verlierer und einen Sieger. Obwohl ich so enttäuscht bin, freue ich mich für ihn", sagte er in der Pressekonferenz.

"Absolut alles gegeben"

"Es war ein besonderes Match. Es war das erste Match für mich über fünf Stunden in meiner Karriere, ziemlich brutale Bedingungen, eine richtige Achterbahnfahrt", erklärte er. Sowohl er als auch Schwartzman hätten in den ersten vier Sätzen Chancen gehabt. "Natürlich fühle ich mich jetzt schlecht und leer, aber auf der anderen Seite habe ich absolut alles gegeben, was gegangen ist. Ich habe mir wenig vorzuwerfen." Spielerisch sei es keine Topleistung mehr von ihm gewesen, was verschiedene Gründe habe. "Es ist wirklich nur übers Fighten gegangen, und da habe ich 100 Prozent gegeben."

Letztendlich lachten beide, sie sind ja Freunde: Sieger Schwartzman und Verlierer Thiem.
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Thiem verlässt Paris mit einem Preisgeld von 283.500 Euro. Schwartzman bleibt noch vor Ort, er trifft im Halbfinale auf Rafael Nadal, den er zuletzt beim Masters-Series-Turnier in Rom überraschend im Viertelfinale geschlagen hatte. Nadal hat sich in der Nacht auf Mittwoch gegen den 19-jährigen Italiener Jannik Sinner mit 7:6 (4), 6:4, 6:1 durchgesetzt.(red, 6.10.2020)

Viertelfinale Herren:

Djokovic (SRB/1) Carreno Busta (ESP/17) -:- -:- -:-
Tsitsipas (GRE/5) Rublew (RUS/13) -:- -:- -:-

Diego Schwartzman (ARG-12) – Dominic Thiem (AUT-3) 7:6(1), 5:7, 6:7(6), 7:6(5), 6:2
Rafael Nadal (ESP-2) – Jannik Sinner (ITA) 7:6(4), 6:4, 6:1