Die Idee eines Europäischen Referenzgenomatlas (ERGA) wurde im Rahmen des Vertebrate Genomes Project (VGP) im Januar 2020 entwickelt.
Illustr.: European Reference Genome Atlas, cleanpng.com

Wien – 1995 sequenzierte ein Team um die US-amerikanischen Mikrobiologen Craig Venter und Hamilton O. Smith erstmals das Genom eines Lebewesens, des Bakteriums Haemophilus influenzae. Drei Jahre später gelang das selbe beim ersten mehrzelligen Organismus, dem Fadenwurm Caenorhabditis elegans. In den über zwei Jahrzehnten seit diesen historischen Durchbrüchen hat die DNA-Sequenzierung bedeutende Fortschritte gemacht. Im Jahr 2000 gaben Venter und Francis Collins die Entschlüsselung des menschlichen Genoms bekannt, jene des Schimpansen folgte fünf Jahre später.

Mittlerweile geht die Zahl der teilweise oder vollständig sequenzierten Genome in die Tausende, doch es gibt auf diesem Gebiet noch immer enorm viel zu tun: Wissenschafter von 39 Institutionen aus 17 EU-Ländern plädieren nun für die Entschlüsselung des Erbguts aller Tiere, Pflanzen und Mikroorganismen in Europa. Sie fordern die Europäische Kommission auf, diese Arbeit als Teil der EU-Biodiversitätsstrategie für 2030 im kommenden Forschungsrahmenprogramm "Horizon Europe" zu unterstützen. Die Erweiterung des Wissens über die biologische Vielfalt sei für den Artenschutz "unerlässlich".

200.000 Arten

In dem "Europäischen Referenzgenomatlas" (ERGA) sollen die Genome der mindestens 200.000 in Europa lebenden Arten erfasst werden. Die Idee baut auf verschiedenen Initiativen auf, etwa dem Vertebrate Genomes Project (VGP), dem Earth Biogenome Project (EBP), Darwin Tree of Life oder Bird 10K Genomes (B10K).

Diese Projekte wollen qualitativ hochwertige, fehlerfreie Genomsequenzen aller Arten von bestimmten Tierstämmen oder -gruppen, also etwa Wirbeltiere (Vertebrate) oder Vögel, bzw. aller Arten einer bestimmten Region (z.B. Großbritannien und Irland im Projekt "Darwin Tree of Life") erstellen. Mit der neuen Initiative sollen die Sachkenntnis und Anstrengungen dieser Gruppen gebündelt werden, um die Sequenzierung von Genomen der gesamten biologischen Vielfalt Europas zu koordinieren.

Schwindende Vielfalt

Und diese Vielfalt schrumpfe täglich verweisen die Wissenschafter auf die Folgen der Klimakrise und menschlicher Aktivitäten. Es sei schwer vorherzusagen, welche Arten den Wettlauf gegen den fortschreitenden globalen Wandel gewinnen bzw. verlieren. "Die Antwort darauf lässt sich oft aus dem Erbgut einer Art ableiten", erklärte Daniel Förster vom Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung in Berlin. Er ist einer der Erstunterzeichner der Petition. Aus Österreich ist Qi Zhou vom Department für Neurowissenschaften und Entwicklungsbiologie der Universität Wien einer der Initiatoren.

Erkenntnisse aus diesen Arbeiten seien nicht nur für den Artenschutz unerlässlich, sondern auch für eine nachhaltige Landwirtschaft und Fischerei. Damit sei die Initiative "auch für uns Menschen relevant, da sie sich unter anderem mit Fragen zu unserer Gesundheit und Wirtschaft befasst", so Förster. Für ihn würden die Erkenntnisse des ERGA-Projekts ein maßgeschneidertes und effektives Artenschutzmanagement zur Erhaltung der europäischen Biodiversität ermöglichen. (red, APA, 10.10.2020)