Studierende haben ein Transparent an der Theater-Uni SZFE angebracht: "Wir kämpfen für die Freiheit unserer Universität."

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Emma Kling zog vor dreieinhalb Jahren von Budapest nach Wien, um auf der Universität für angewandte Kunst zu studieren. Der Grund: Sie konnte sich während ihres Studiums in ihrem Heimatland Ungarn nicht mit Nebenjobs über Wasser halten. Als Kellnerin verdiente sie drei Euro die Stunde, eine Wohnung kostete nicht viel weniger als in Wien. Zudem wollte sie neue Abenteuer in einem anderen Land erleben.

Als die Grenzen zu Ungarn wegen der Pandemie erneut geschlossen wurden, saß sie in Österreich und versuchte, sich nicht zu viele Sorgen um ihre Freunde und Familie zu machen. Klings Freunde in Ungarn haben derzeit Fernunterricht. Bibliotheken, Mensen und Labore sind geschlossen, Studierendenheime mussten geräumt werden. Seminare und Prüfungen finden über Zoom, Skype und Moodle statt. Eine ähnliche Situation, wie sie vergangenes Semester in Wien vorgeherrscht hat.

Doch: Viele Studierende haben ihre Nebenjobs verloren. Als Gegenmaßnahme wurde von der Regierung ein zinsfreies Studiendarlehen eingerichtet, das in bis zu fünf Jahren zurückgezahlt werden kann. So sollen Familien entlastet werden.

Politisierung der Unis

Gleichzeitig schreitet die Politisierung der Universitäten durch die regierende Fidesz-Partei unter Ministerpräsident Viktor Orbán voran. In den vergangenen Jahren wurde die von George Soros gegründete Central European University (CEU) aus Budapest vertrieben. Vor kurzem übersiedelte sie nach Wien.

Auch das Studienfach Gender-Studies wurde abgeschafft und der politische Einfluss auf die ungarische Akademie der Wissenschaften erhöht. Nichtkonforme Wissenschafter wurden öffentlich diffamiert und – als neuester Schachzug – die Leitung der Budapester Theateruniversität SZFE von einem regierungsnahen Komitee übernommen. Regierungskritische Stimmen fürchten eine stärkere Einflussnahme von Fidesz unter dem Deckmantel von Corona-Maßnahmen.

Daniela Neubacher ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für den Donauraum und Mitteleuropa (IDM). Sie bezeichnet die Entwicklung als "Renationalisierung des Hochschulsektors". Ihrer Einschätzung nach bedeuten die Corona-bedingten Maßnahmen jedoch nicht unbedingt zusätzliche Eingriffe in den Hochschulsektor, da sie in vielen Fällen lediglich den anhaltenden Entwicklungstrend seit 2010 fortschreiben. Dennoch lasse sich dieselbe Polarisierung bei Regierungskritik, die früher bei den Gender-Studies vorherrschte, an anderen Fakultäten beobachten.

Hinzu kommt, dass Kritik an Corona-Maßnahmen oder Skepsis an der Eindämmung der Virusausbreitung als Falschmeldung interpretiert werden könnten, sagt Neubacher: "Ein pluralistischer Diskurs ist sehr schwierig in einer Situation, in der eine Disziplin so politisiert ist." Diese Politisierung führe dazu, dass sich viele Wissenschafter in den Elfenbeinturm zurückziehen und sich bewusst nicht zu gesellschaftspolitisch relevanten Fragen äußern.

Theater im Zwiespalt

Der Filmtheorie-Student Thomas aus Budapest will seinen vollen Namen lieber nicht in der Zeitung lesen. Er empfindet die Angriffe auf liberale, linke und jüdische Professoren und Attacken auf gewisse Studienrichtungen in den Medien als allgegenwärtig: "Das ist repräsentativ für dieses System, beeinflusst den Alltag von Studierenden aber nicht wirklich."

Anders sieht es an der Theater-Uni aus: Auf das neue Komitee reagierten Studierende und Lehrende mit Protesten und Besetzungen. Die SZFE ist eine von zwei Theaterhochschulen Ungarns. Die zweite, die Universität für darstellende Kunst von Kaposvár, wird seit Jahren von einem regierungsnahen Direktor geleitet, der nun auch im SZFE-Komitee sitzt.

Wie Studierende in Kaposvár erzählen, macht sich der Regierungseinfluss bereits in der Auswahl der im Lehrplan behandelten Stücke und Texte bemerkbar. Nun fürchtet man sich an der SZFE vor ähnlichen Entwicklungen. Die Psychologiestudentin Annemária Eiler, die bereits vor den Corona-Maßnahmen mit Professoren an Demonstrationen gegen den Regierungseinfluss an Hochschulen teilgenommen hat, sorgt sich indes, dass weitere Notstandsgesetze die Einmischung in den Bildungssektor noch verstärken könnten.

"Für die Regierung ist das eine Möglichkeit zur Unterdrückung möglicher Oppositionen", sagt sie. Dass diese Einmischungsversuche an Kunstuniversitäten beginnen, hängt unter anderem mit der in Ungarn traditionell engen Vernetzung von Theater und Politik zusammen. So werden beispielsweise Theaterdirektoren oft von der Regierung ernannt.

Studentin Kling, die selbst eine Schauspielschule in Ungarn besucht hat, sieht dennoch Perspektiven in den Entwicklungen rund um die Theateruniversität: Im besten Fall bieten die Proteste im Hochschulsektor eine Möglichkeit zu allgemeiner Kritik an "altmodischen und elitären" Unterrichtsmethoden, die bisher an ungarischen Universitäten für darstellende Kunst vorherrschend waren: "Das funktioniert aber nur, wenn sich alle Hochschulen solidarisieren." (Sarah Yolanda Koss, 10.10.2020)